Das Lied des Kolibris
gut kennen. Und bestimmt wollte er euch erzählen, dass er kein Feldneger war.«
»Nein?«, kam es im Chor.
»Nein. Weil nämlich«, und hier klopfte sie stolz auf die Schulter ihres Bruders, »der arme blöde Stotterer was viel Besseres kann. Er war der Schmied auf dem Solar do Castelo, und er war so gut, dass der Senhor ihn an andere vermietet hat. Hat ihm ein schönes Extrasümmchen eingebracht.«
Die vier starrten Caca ungläubig an.
Bebel war nun nicht mehr zu bremsen. »Er ist ein großartiger Handwerker, und er kann nicht nur schmieden, sondern auch ganz passabel tischlern, und im Umgang mit Ton ist er auch nicht schlecht. Und so wie ich das sehe«, sie deutete im Kreis auf die primitive Hüttensiedlung, »brauchen wir hier alles, vom Teller bis zum Topf, von Möbeln bis zu Speeren.«
»Und das soll der Blöde alles können?«, fragte João.
»Er ist nicht blöd«, fauchte Bebel. »Er kann nur nicht so toll sprechen. Alles andere kann er.«
Zé war der Erste, der sich von der allgemeinen Überraschung erholte. »Ist das so, Caca?«
Caca nickte. »Ja«, sagte er in bestimmtem Ton und ohne den geringsten Hinweis auf sein Stottern. »Ja!«
Zé konnte es nicht recht glauben, befand aber, dass man es ausprobieren müsse. »Na schön, dann bleibst du erst mal hier und fertigst …« Ja, welchen Auftrag sollte er dem Burschen geben? Was hatten sie schon an Materialien, mit denen er arbeiten konnte?
»Mmmir ffällt schon wwwas ein«, sagte Caca, und die anderen schauten sich beunruhigt an. Das klang nicht besonders vielversprechend.
»Na dann – an die Arbeit!«
Die Männer zogen los, um zu jagen, die Frauen machten sich ans Waschen und Fegen und Feuerholzsammeln.
Als sie am Abend erschöpft um das Feuer saßen und mit großem Appetit ihre magere Beute verspeisten, wagte es niemand, Caca auf sein Tagewerk anzusprechen. Was sollte er schon Großes bewerkstelligt haben?
Doch nach dem Essen verschwand Caca plötzlich, um wenig später mit einem Gegenstand zurückzukehren, den er tagsüber aus dem wenigen gefertigt hatte, was ihm zur Verfügung stand.
»Was soll das sein, eine Schüssel?«, fragte Luizinho enttäuscht.
Caca sagte nichts. Er wusste, dass er die Geduld der anderen nur strapazierte, wenn er wieder stotterte. Aber er klemmte sich das Gebilde zwischen die Beine und schlug einen rhythmischen Takt darauf.
»Eine Trommel«, schrie João begeistert.
»Lass uns tanzen, Mann!«, forderte Marilu ihren Luizinho auf, und Zé schnappte sich Bebel, um sie ausgelassen herumzuwirbeln.
Es wurde der fröhlichste Abend, seit sie im Urwald hausten.
26
D ie Familie Oliveira saß bei einem späten Frühstück. Luas Flucht hatte sie alle bestürzt, und die ohnehin schon schwelenden Unstimmigkeiten schlugen langsam in offenen Hass um.
»Ihr seid schuld!«, heulte Eulália. Sie starrte ihre Eltern wütend an. »Wenn Ihr nicht so gefühllos gewesen wäret, und vor allem so geschmacklos, dann wäre das alles nicht passiert. Wo sind wir denn hier? Wollt Ihr mit all den Fazendeiros in einen Topf geworfen werden, die ihre Neger züchten, als seien es Kühe? Das ist widerlich!«
»Mäßige dich, Kind!« Dom Felipe erkannte wohl, dass ein Funken Wahrheit in dem lag, was seine Tochter sagte. Aber um nichts in der Welt hätte er das zugegeben. »Lua ist eine Sklavin, eine Handelsware, mehr nicht. Dass du sie behandelt hast wie deinesgleichen, das hat sie erst auf dumme Gedanken gebracht. Du hättest dir besser ein Hündchen zugelegt, um es zu hätscheln.«
Carlos, der älteste Bruder, war ebenfalls zugegen. Gelegentlich musste er sich ja auf São Fidélio blicken lassen, wenn er weiter von der Großzügigkeit seiner Eltern profitieren wollte. Er fand die ganze Diskussion vollkommen überflüssig und stimmte seinem Vater in jeder Hinsicht zu. Allerdings mischte er sich so wenig wie möglich ein. Je mehr Zwistigkeiten hier ausgetragen wurden, desto weniger würde man ihn mit lästigen Fragen behelligen. Seine Mutter warf ihm eh schon immer forschende Blicke zu.
Dona Ines machte sich Sorgen um ihre Kinder. Carlos schien das Studium nicht so ernst zu nehmen, wie er sollte. Eulália bezeugte ihren Eltern nicht den angemessenen Respekt. Und Manuel, der kürzlich seinen 16. Geburtstag gefeiert hatte, war viel zu ernst für einen Jüngling seines Alters. Er hätte sich mehr für Mädchen interessieren müssen und weniger fürs Geschäftliche. Was hatte sie bloß falsch gemacht bei der Erziehung ihrer drei geliebten
Weitere Kostenlose Bücher