Das Lied des Kolibris
unterhielten sich über ihre alten Freunde, die sie zurückgelassen hatten, und nachdem sie eine ganze Weile so von einem Thema zum nächsten gehüpft waren, fanden sie heraus, dass sie gemeinsame Bekannte hatten und sogar von derselben Frau gestillt worden waren. Die Freude war auf beiden Seiten riesig.
»Was, die dicke Mariazinha war auch deine Milchamme? Ich fass es nicht! Caca und ich lieben sie über alles.«
»Lebt sie noch? Als sie von Três Marias weg verkauft wurde, kam sie mir schon alt vor – und das muss zwanzig Jahre her sein.«
»Ja, sie lebt, und sie erfreut sich guter Gesundheit. Alt ist sie, aber sooo alt nun auch wieder nicht.«
»Ach, das muss ich gleich Luizinho berichten, der wurde nämlich auch von ihr gesäugt.«
»Dann sind wir ja fast Geschwister«, stellte Bebel feierlich fest, und die Frauen fielen einander, halb lachend, halb weinend, in die Arme.
Die Männer zählten unterdessen all die Pflichten auf, die Cacas harrten. Sie übertrieben ein wenig, zum einen, damit der Stotterer nicht allzu oft zu Wort kam, denn es fiel ihnen lästig, ihm zuzuhören, zum anderen, weil sie ihre eigene Wichtigkeit und ihren Fleiß gar nicht oft genug betonen konnten.
»Du musst lernen, mit Pfeil und Bogen umzugehen. Sobald du das kannst, musst du täglich auf die Jagd gehen. Das ist mühsam und sehr gefährlich, denn da draußen gibt es Spinnen, so groß wie Wagenräder, und Schlangen, dicker als deine Oberschenkel. Du musst mindestens so viel erlegen, wie du und deine Schwester esst, aber wenn’s mehr wird, schadet’s natürlich auch nicht.« João grunzte, um seiner Rede mehr Nachdruck zu verleihen. Zé enthielt sich eines bissigen Kommentars. João hatte bisher noch nie so viel Fleisch mitgebracht, wie er selbst verzehrte.
»Ja, und das ist noch nicht alles«, meldete Luizinho sich zu Wort. »Du musst auch lernen, die Fische in unserem Flüsschen hier zu fangen. Mit der Angel dauert es sehr lange, aber wenn du eine Art Speer benutzt, einen angespitzten Ast, und damit tüchtig übst, kannst du ziemlich schnell ein feines Abendessen zusammenkriegen. Aber auch das ist gefährlich. Der Fluss ist an manchen Stellen tief, und das Ufer ist wegen all dem Gestrüpp nicht gut zugänglich. Also, wenn du nicht schwimmen kannst und auch keinen Einbaum lenken, solltest du vielleicht lieber die Finger davon lassen.«
Zé schmunzelte bei der Erinnerung an Luizinhos Versuche, sich mit dem Wasser anzufreunden, und auch seine eigenen peinlichen Erfahrungen, die er anfangs bei den Indios gesammelt hatte, fielen ihm wieder ein. Es würde, wie bei ihnen allen, eine Weile dauern, bis Caca voll einsatzfähig war.
»Aaaber dddafür kkkann iiich …«, wagte Caca die Angeber zu unterbrechen, doch diese waren zu ungeduldig, ihn ausreden zu lassen.
»Nein, dafür kannst du nichts, dass du noch nicht so urwaldtauglich bist«, sagte João.
»Nnnein, iiiich kkkann …«, versuchte der Stotterer es erneut.
»Du kannst uns begleiten, zumindest am Anfang, bis du das Wesentliche beherrschst«, meinte Luizinho großzügig.
Caca schüttelte entmutigt den Kopf, und die anderen drei Männer deuteten diese Geste als Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Es musste wirklich schlimm sein, wenn man sich als Dummkopf solchen Herausforderungen gegenübersah. Denn dass Caca nicht der Hellste war, davon waren sie alle überzeugt.
Irgendwann stießen die beiden Frauen wieder zu der Gruppe. »He da, ihr Faulenzer!«, rief Marilu. »Was soll ich heute kochen, wenn ihr hier träge herumhockt und nichts zu essen auftreibt?«
»Hast ja recht«, gab Zé zu. Auch er hatte sich verleiten lassen, seine Pflichten zu vernachlässigen, was angesichts seiner Stellung als »Anführer« unverzeihlich war. Er musste nicht nur mit gutem Beispiel vorangehen, er musste auch Sorge dafür tragen, dass sie alle gut versorgt waren. »Also los, Männer. Caca, du kommst mit mir, ich erklär dir dann das Wichtigste.«
Caca nickte resigniert.
»Aber warum denn?«, schaltete Bebel sich plötzlich ein.
Die Männer blickten sie konsterniert an, und sogar Marilu fand es dreist, sich gleich am ersten Tag vor der Arbeit drücken zu wollen beziehungsweise den anscheinend zurückgebliebenen Bruder davor zu bewahren. Kräftig sah Caca doch aus, also würde er auch mit anpacken müssen.
»Glotzt doch nicht so!«, verteidigte Bebel sich, die den Stimmungsumschwung bemerkte. »Sicher habt ihr ihn nicht ausreden lassen, das passiert immer, wenn Leute ihn noch nicht
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