Das Lied des roten Todes
fest.«
Eines der Mädchen, das sich an Aprils Haaren zu schaffen macht, schnappt nach Luft und lässt die Brennschere fallen. Sie hat die Seuche gesehen. Es war unvermeidlich. Das Mädchen rückt nervös ihre Maske zurecht.
»Wenn jemand das sieht«, sagt sie angstvoll, »wird alles übel werden. Selbst wenn Sie Prosperos Nichte sind.«
»Wir müssen sie rausschaffen«, sage ich. »Zurück in die Stadt. Mein Freund, Will – er könnte helfen.«
»Es gibt da vielleicht einen Weg«, sagt die kleine Dienerin, die Aprils Kleid bewundert hat. Die anderen Mädchen versuchen, sie zum Schweigen zu bringen, aber sie winkt ab. »Was spielt es für eine Rolle?«, fragt sie. »Wenn der Prinz sie tötet, sind sie tot, genauso wie alle anderen. Aber wenn nicht, können sie uns alle zurück in die Stadt bringen. Sie können uns retten.«
Die anderen Dienerinnen halten jetzt alle einigen Abstand zu April. Ihre Haare glänzen. Es sind die Schatten unter ihren Augen, die mir Sorgen machen. Und die Schwärende Seuche.
»Sagen Sie mir«, sagt die Kleine zu mir, »haben Sie wirklich das Waisenhaus angegriffen und alle Mädchen gerettet?«
»Ja«, sage ich.
»Wir sind alle dort ausgebildet worden. Wir wissen, wie es da ist. Sie haben diese Mädchen gerettet, obwohl Sie das nicht mussten. Obwohl Sie zu den reichsten Mädchen in der Stadt gehören.«
»Es war das Richtige, es zu tun.« Ich sehe den Mädchen in die Augen, jedem einzelnen. Wie weit kann mich dieses Heldentum bringen?
»Kann Ihr Vater sie denn heilen?« Die Kleine deutet auf die Wunde, die Aprils Hals verunstaltet. »Was ist mit dem Roten Tod?« Sie haben genauso viel Angst vor der Stadt und vor dem, was sich außerhalb des Schlosses befindet, wie alle anderen hier. Aber sie haben vielleicht mehr Angst vor dem, was im Innern ist. Genug, um mir zu vertrauen, der Tochter des Wissenschaftlers. Ich kann ihnen nicht erklären, dass es nicht mein Vater ist, der versprochen hat, April zu helfen. Dass ich sie zu ihrem eigenen Vater bringen muss.
»Wenn wir sie rechtzeitig wegschaffen können – ja, ich denke, dann kann sie geheilt werden. Und mein Vater arbeitet zusammen mit Aprils Bruder daran, ein Heilmittel für alle zu finden. Ich möchte sie heute Nacht rausschaffen. Sie und Will müssen in die Stadt zurückkehren.«
»Araby?«, flüstert April. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.«
»Du musst«, sage ich. »Nur noch ein paar Stunden.«
Die Dienerinnen helfen mir in mein Kleid. Mutter betritt wieder den Raum, gefolgt von ihren eigenen Dienerinnen. Sie beäugt die skandalöse Art und Weise, wie eng mein Kleid anliegt. Die Dienerinnen streichen mir die Haare aus dem Gesicht und legen sie in Locken, arrangieren ein paar Strähnen so, dass sie über meinen Rücken fallen.
Eines der Mädchen öffnet ein Kästchen und holt eine Maske heraus. Zuerst denke ich, es ist die schmuckvolle Maske aus der Schublade in meinem Schlafzimmer, die Elliott wieder zurückgelegt hat. Aber dann begreife ich, dass diese hier zwar über die Augen reicht und den Träger verbirgt, aber den Mund schrecklich und gefährlich ungeschützt lässt. Die Mädchen haben meine Lippen grellrot bemalt.
Die Maske ist mit Pailletten und Federn geschmückt. Als ich sie aufsetze, passt sie genau auf meine Wangenknochen und zu den Konturen meines Gesichts, während sie meine Augen groß und geheimnisvoll wirken lässt.
»Pfauenfedern bringen Unglück, oder?«, fragt Mutter. Ich habe immer gesagt, dass ich die Glückliche bin, weil ich lebe und Finn gestorben ist. Im Laufe dieser Nacht wird sich herausstellen, ob das stimmt oder nicht.
April verteilt Puder auf meinen Schultern, das meine Haut zum Schimmern bringt. »Es ist so anders als in all den Nächten, als wir zum Debauchery Club gegangen sind«, sagt sie. Ihre Stimme klingt auf unechte Weise fröhlich. Wir wissen beide, wie anders es ist. Wir haben unsere Besuche im Debauchery Club selbst gesteuert und selbst entschieden, wann wir dort ankommen und wann wir gehen wollten. Und unser Leben hat nie auf dem Spiel gestanden.
Die Dienerinnen ziehen Mutter ein Kleid an, das das Gegenteil von meinem ist. Es ist schwarz und hat blaue Akzente. Auch an ihrer Maske befinden sich Pfauenfedern. Sie betrachtet sie angewidert.
Die kleine Dienerin beugt sich zu mir und trägt mir Augen-Make-up auf.
»Wir können die Nichte des Prinzen verstecken«, flüstert sie. »Sie muss so tun, als würde sie zum Ball gehen, und wir bringen sie zu einem verborgenen
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