Das Lied des roten Todes
Jemand trifft Will von hinten, und er fällt auf ein Knie.
Blut tropft von einer Seite seines Gesichts.
»Komm«, krächze ich und helfe ihm wieder auf die Beine.
Er zieht mich dicht zu sich heran und schwingt seine Klinge, um uns den Weg freizumachen. Aber wir kommen nur ein paar Schritte weit, als ihn wieder jemand trifft. Diesmal spüre ich die Wucht ebenfalls. Will schwankt, aber er hebt Elliotts Schwert. Ich ziehe das Messer aus meinem Stiefel.
»Ergreift ihn«, befiehlt der Prinz, und die Menge stürmt auf uns zu.
Will stößt um sich und ersticht einen Mann in einer purpurnen Samtweste. Blut fließt, spritzt auf die Bodenfliesen. Aber die Klinge steckt fest, und es ist zu beengt, daher kann Will sie nicht losreißen. Ich halte mein Messer tief, gehe auf jeden los, der uns zu nahe kommt, aber schließlich sind die Wachen bei uns, und sie haben Gewehre.
Prosperos Männer achten nicht auf mich, als sie Will auf den Boden werfen und ihm die Hände auf dem Rücken zusammenbinden. Unsere Blicke begegnen sich einen Moment. Ich strecke meine Hand aus, lasse sie wieder sinken.
Und dann zerren die Wachen ihn weg.
Es ist vollkommen still im Thronsaal, und als ich in die Gesichter der Höflinge blicke, sehe ich auf ein paar wenigen Mitgefühl. Ich starre finster zurück. Einige dieser Leute haben uns absichtlich an der Flucht gehindert. Prospero ruft etwas von wegen Tanzen, und dann ist Mutter neben mir. Die Menge teilt sich. Sie lassen uns gehen. Ein Diener führt uns an den Jongleuren mit den ausdruckslosen Gesichtern vorbei, hinaus aus dem Thronsaal. Als wir draußen sind, legt der Diener einen Arm um meine Mutter und hilft ihr die Wendeltreppe hinauf in ihr Turmzimmer. Ohne ein Wort zu uns zu sagen, schließt er uns ein.
Wir starren einander an. Mutters Gesicht ist aschfahl, und ich habe immer noch mein Messer in der Hand. Prospero wird dafür bezahlen, dass er es übersehen hat.
»Lass mich deine Hand sehen«, sage ich und lege das Messer weg.
»Sie wird verheilen.«
Sie verbirgt ihr Gesicht. Wie immer lässt sie mich ihren Schmerz nicht sehen.
»Mutter …« Ich glaube, es ist meine brüchige Stimme, die sie dazu bringt, sich wieder zu mir umzudrehen und ihre Hand in meine zu legen. Sie ist vom stundenlangen Einweichen in Duftölen weich. Ich untersuche sie rasch, zucke zusammen, wenn sie es tut. Die Hand ist keine formlose Masse, nicht so wie beim Uhrmacher. Nur einer der Finger ist offensichtlich gebrochen und deutlich mehr geschwollen als die anderen.
»Versuch, ihn zu bewegen«, sage ich, denn das ist das, was Vater gesagt hat, wenn Finn oder ich mit einer solchen Verletzung zu ihm gekommen sind. Sie kann es nicht.
Wir zucken beide zusammen, als das Geräusch eines Schlüssels im Türschloss erklingt. Die Tür geht auf, und ein Diener tritt mit einem Teetablett ein. April folgt ihm. Wortlos stellt der Diener das Tablett ab und geht wieder. Ich greife nach der zierlichen silbernen Gabel und nehme einen von Mutters Seidenschals und benutze beides, um eine behelfsmäßige Schiene für ihren Finger herzustellen. Vater hat so etwas immer für die Nachbarskinder getan. Bevor er sie zu einem richtigen Arzt geschickt hat.
Wenn Will hier wäre, könnte er helfen.
Wenn Will hier wäre … Ich blinzele Tränen zurück. Wer weiß, was Prospero mit ihm gemacht hat? Die Reste des Seidenschals meiner Mutter fallen auf den Boden.
»Richte auch ihre Maske wieder neu«, sagt April leise. Mutters Maske hat sich verschoben. Ich strecke schon meine Hand aus, aber sie macht es selbst mit der linken Hand.
Ihre Augen sind trocken, aber die Art und Weise, wie sie sitzt, wie ihre ganze Haltung von der Niederlage kündet – ich kann nicht umhin, mir vorzustellen, dass es so gewesen wäre, wenn sie bei mir gewesen wäre, als ich darauf gewartet habe, dass Finn stirbt.
»Es tut mir leid«, sagt April. »Ich habe gehört, wie jemand etwas geflüstert hat. Sie konnten sehen, dass ich infiziert bin. Ich musste so schnell wie möglich weg, bevor sie begriffen haben, wer ich bin. Dann hätten es alle gewusst.« Sie lässt sich in einen Sessel fallen und schaut mich unter ihren Wimpern hindurch an. Diese Pose ist normal bei ihr, im Gegensatz zu ihrer Miene. »Ich denke, es ist möglich, dass ich sterbe.«
»Nein«, sage ich, als könnte mein Leugnen irgendetwas ändern. »Aber du musst dich hinlegen.« Ich strecke meine Hand nach ihr aus, unsicher, was ich tun soll. Ich bin frustriert, dass wir hier gefangen sind. Ich
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