Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied des roten Todes

Das Lied des roten Todes

Titel: Das Lied des roten Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bethany Griffin
Vom Netzwerk:
nehme das Teetablett und bringe sie ins Schlafzimmer.
    »Hast du dir einen Fluchtplan überlegt?«, frage ich und zerkrümle einen winzigen Keks unter meinen Fingern. Er ist so trocken, dass ich ihn wahrscheinlich gar nicht essen könnte. »Du musst hier raus.«
    »Vielleicht wird uns jemand retten.« April lächelt schwach.
    »Will hat es versucht«, sage ich. »Und du siehst, wozu es geführt hat.«
    »Du und deine Mutter, ihr wärt ohne Will nie lebendig aus diesem Saal rausgekommen.«
    »Glaubst du, er lebt noch?«
    »Ja.« Sie sagt es zu schnell, und ich schätze, sie lügt, damit ich mich besser fühle, bis sie hinzufügt: »Mein Onkel kann Menschen sehr lange am Leben lassen.«
    Ich lege das Tuch beiseite, das ich für ihr Gesicht benutzt habe, und mache ein anderes für ihre Schultern und ihren Hals nass.
    »Aber warum?«, frage ich. »Er ist bisher immer im Schatten geblieben. So haben er und die Kinder überlebt.«
    »Araby«, sagt April, »was denkst du, wieso er das alles getan hat? Was denkst du, weshalb er in die Stadt gegangen ist? Weil er gern zwischen stinkenden Leichenstapeln herumläuft und sich Elliotts abfällige Bemerkungen anhört? Er liebt dich.«
    Ich wringe den Stoff aus, und Wasser tropft auf den Boden.
    »Ist es nicht wunderbar, verliebt zu sein?«, fragt sie.
    »Nein.« Es fühlt sich so an, als würde die Schlinge wieder um meinen Hals liegen und mir die Luft abschneiden. Und doch, endlich sicher zu sein, endlich meine Gefühle zu kennen, auch wenn sie verzweifelt sind und ich ihn vielleicht nie wiedersehen werde – es ist schrecklich und wunderbar zur gleichen Zeit.
    »Ich liebe ihn«, flüstere ich.
    »Liebe.« April spuckt das Wort regelrecht aus. »Selbst wenn ich am Leben bleiben und wie durch ein Wunder nicht hässlich sein sollte, will Kent doch nichts anderes, als sein Luftschiff nehmen und auf Forschungsreise gehen – herausfinden, was vom Rest der Welt noch übrig ist. Deshalb hat er es gebaut.«
    »Kent?«, frage ich.
    »Frag mich nicht. Ich kann es nicht erklären. Und es wird auch nie funktionieren. Ich könnte niemals mit ihm mitgehen«, spricht April weiter. »Auch dann nicht, wenn wir einen Weg finden könnten, meine Krankheit aufzuhalten. Kein Mensch, der mit der Seuche infiziert ist, kann durch die Welt reisen.«
    Ich nehme ihre Hände. »Wir werden einen Weg finden.«
    »Ich bin ziemlich sicher, dass am Ende nicht immer alles gut ausgeht«, sagt April. »Nicht für alle. Du hast gerade herausgefunden, dass du Will liebst. Also wirst du meinem Bruder das Herz brechen.«
    Ein paar Wochen zuvor hätte ich vielleicht behauptet, dass Elliott kein Herz hat, das man brechen kann. Jetzt sitzen wir schweigend da und warten darauf, dass die Nacht vorüber ist.
    April dämmert weg, und ich sehe nach Mutter.
    Sie sitzt mit geschlossenen Augen in ihrem Sessel. Ich bin mir nicht sicher, ob sie eingenickt ist oder nicht, aber ihre Maske sitzt schief. Ich strecke die Hand aus, um sie zurechtzurücken, denn ich will kein Risiko eingehen, seit April bei uns ist.
    Sie hält meine Hand fest. Trotz der behelfsmäßigen Schiene an ihrem zermalmten Finger fühlt ihre Hand sich so an wie immer. Kühl. Liebevoll. Hände, die mich nachts ins Bett gebracht und mir die Stirn befühlt haben, wenn ich krank war.
    »Es tut mir leid«, flüstere ich.
    Sie öffnet die Augen. »Du musst dich nicht entschuldigen, Araby.«
    Ich küsse sie auf die Stirn und schleiche mich dann auf Zehenspitzen zurück ins Schlafzimmer, wo ich die Decke anstarre, während die grauenvollen Bilder der Nacht in meinem Kopf wieder und wieder ablaufen. April liegt neben mir, und obwohl sie still ist, weiß ich, dass auch sie nicht schläft. Morgen ist der Maskenball. Morgen wird alles enden, auf die eine oder andere Weise.
    Irgendwann in den frühesten Morgenstunden hören wir Schreie. Die nächtliche Feier kommt zum Ende.

Neunzehn
    N achdem die Sonne aufgegangen ist, herrscht stundenlang Stille im Schloss. Die Gäste schlafen oder verstecken sich, entsetzt über das Gelage der vergangenen Nacht. Wir bekommen kein Frühstück, aber am Nachmittag bringen uns wortkarge Bedienstete etwas zu essen. April fragt, ob sie ihre Mutter besuchen kann, aber die Bitte bleibt unbeachtet.
    Sie steht vom Tisch auf und begibt sich zum vergitterten Fenster.
    Meine Tasche wurde in den Turm gebracht, zusammen mit der Maske, die Prospero sich ausgeliehen hat. Ich ziehe den kleinen Gedichtband heraus, den Vater mir gegeben hat. Darin steckt das

Weitere Kostenlose Bücher