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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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zum Wohnhaus. Durch ein geöffnetes Fenster spähte er hinein – und wurde Zeuge des Schlimmsten, was er jemals hatte mit ansehen müssen. Der Graf, hager und schlank und wie seine Soldaten mit einem dunkelroten Mantel bekleidet, hatte die Bewohner in der Halle zusammentreiben lassen. Verängstigt hockten Bergljot, Thora, der kleine Eirik und die Bediensteten zwischen den Soldaten.
    Gedanken rasten durch Hakons Kopf. Er musste seiner Familie beistehen. Aber wie? Verdammt noch mal – wie? Die Angreifer hatten die ganze Stadt eingenommen. Es war unmöglich, Verbündete zu finden, und es wäre Selbstmord, allein ins Haus einzudringen.
    Der Graf beherrschte die Sprache der Normannen. Immer wieder fragte er nach Sigurd. Als ihm niemand antwortete, zerrte der Graf Bergljot von den anderen fort. Sie schrie, und er schlug ihr ins Gesicht. Dann entdeckte er den Ring an ihrem Finger. Das sei der Beweis, rief er, der Beweis, dass Sigurd einen Mann namens Wichmann getötet habe. Bergljot wollte den Ring, der ihr viel zu groß war, vom Finger nehmen, um ihn dem Grafen zu geben. Doch der Graf nahm ihre Hand in den Mund und biss ihren Finger ab. Er lachte, während ihm das Blut in den Bart tropfte. Dann trat er nach Bergljot, die sich vor Schmerzen krümmte, und als Thora ihr helfen wollte, packte er sie im Genick und drückte sie auf eine Sitzbank.
    Hakon stockte der Atem. Er zog sein Messer. Jetzt hielt ihn nichts mehr. Lieber würde er sterben, als mit der Schmach zu leben, untätig geblieben zu sein.
    Aber es war zu spät. Bevor er das Versteck verlassen konnte, musste er mit ansehen, wie ein Mann, ein breitschultriger Glatzkopf, Thora festhielt. Und dann schlug ihr Thankmar mit einem Beil den Kopf ab. Es war nur ein Hieb, und Hakon würde niemals das Geräusch vergessen, als das Beil durch Thoras Hals fuhr und in der Holzbank stecken blieb.
    Der Graf und seine Männer feierten die Nacht durch. Im Morgengrauen brachten sie zwei Dutzend Bewohner aus der Stadt auf den Jarlshof und hängten sie auf. Dann schleppten sie alles, was wertvoll war, auf ihre Schiffe. Der Graf hatte es vor allem auf die Felle und Pelze abgesehen, die Sigurd auf seinen Raubzügen erbeutet hatte.
    «Was glaubst du», fragte er seine Mutter jetzt, «welches Urteil er über mich verhängen wird?»
    Bergljot zuckte mit den Schultern. «Ich hoffe, er verzeiht dir ein letztes Mal.»
    «Und was geschieht dann?»
    «Dann tötest du den Sachsen im nächsten Frühjahr.»
    Natürlich hoffte Hakon, seine Mutter würde recht behalten. Aber er kannte seinen Vater.
    Der Rabe krächzte auf dem Ast.
    Hakon machte Anstalten, sich zu erheben. Er musste weiter, damit er rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück in Hladir war.
    Als er sich von Bergljot verabschieden wollte, holte sie unter ihrem Mantel die Kette aus grünen Glasperlen hervor, die Thora in jener Nacht getragen hatte, als der Graf sie getötet hatte. Die Kette war gerissen, und die Perlen hatten sich über dem Boden verteilt. Bergljot musste sie wieder eingesammelt und auf ein neues Band gefädelt haben.
    «Überbring der Göttin die Kette als Geschenk», sagte sie, «und bitte sie, dass Sigurd dir verzeiht.»
    Hakon wandte sein Gesicht ab, damit Bergljot nicht die Tränen sah. Dann legte er die Kette zu den anderen Sachen in den Beutel und setzte seinen Weg fort.

17.
    Sigurds Urteil war eindeutig und endgültig.
    «Ich habe keinen Sohn mehr», sagte der alte Jarl mit fester Stimme, die keinen Zweifel zuließ.
    Er saß auf seinem Hochstuhl, einen Becher in der rechten Hand. Er hatte seit gestern nicht aufgehört zu trinken. Mittlerweile war er zum starken Honigwein, dem
mjöðr
, übergegangen.
    Vor ihm standen Hakon, Bergljot und ein gutes Dutzend Männer aus Hladir, die gekommen waren, um als Zeugen das Urteil zu hören.
    «Sigurd!», rief Bergljot. «Das kannst du nicht tun …»
    «Du hast gehört, was ich gesagt habe, Weib», erwiderte der Jarl. «Ich habe keinen Sohn mehr!»
    Die Worte seines Vaters bohrten sich in Hakons Kopf. Er versuchte, das Urteil gefasst aufzunehmen. Aber in seinem Innern tobte ein Sturm. So sehr hatte er gehofft, seine flehenden Gebete würden von der Göttin erhört, dass der Jarl seinem Sohn eine letzte Gelegenheit gab, alles wiedergutzumachen. Er hatte gehofft, dass Sigurd ihn vielleicht von der Jagd ausschließen oder ihm das Schwert wegnehmen würde oder dass er irgendein fettes Weib heiraten musste, das Sigurd für ihn aussuchte. Aber nun war alles anders

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