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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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verhältst dich wie ein Hase.»
    «Sigurd, es reicht!» Bergljot machte drohend einen Schritt auf ihren Mann zu. «Hakon ist dein Sohn, vergiss das nicht!»
    «Mein Sohn? Dieser Mann hat Schande über meine Familie gebracht. Er hat meinen Namen in den Schmutz gezogen. Anstatt zu kämpfen und seine Frau zu beschützen, hat er sich verkrochen und dabei zugeschaut wie ein erbärmlicher Feigling.»
    Bergljot hob die Hand, an der der Ringfinger fehlte. «Du weißt es, Sigurd! Du weißt es ganz genau! Hakon konnte uns nicht helfen. Niemand hätte das tun können. Hätte Hakon sich eingemischt, hätte der Sachse ihn getötet, so wie er es mit Thora getan hat …»
    «Na und! Dann wäre es eben so gewesen», schrie Sigurd, holte mit dem Becher aus und schleuderte ihn in Hakons Richtung. Mit einem dumpfen Geräusch prallte der Becher hinter ihm gegen die Wand.
    «Ein Mann ist nur ein Mann, wenn er bereit ist, einen ehrenvollen Tod zu sterben», donnerte Sigurd, den Blick auf Bergljot gerichtet. «Er hätte sich dem Feind stellen müssen! Jetzt muss er mit der Schuld weiterleben. Bring mir einen neuen Becher!»
    «Nein.»
    «Bring mir sofort einen Becher!»
    Bergljot atmete tief ein, dann gehorchte sie. Sie füllte einen Becher mit Bier und gab ihn Sigurd.
    «Er soll mir aus den Augen gehen!», schnaufte der Alte. «Ich habe ihm eine Gelegenheit gegeben, seine Ehre wiederherzustellen. Doch er hat versagt.»
    Er wandte sich an Hakon: «Verschwinde!»
    «Wohin?»
    Sigurd zuckte mit den Schultern. «Verlass mein Haus. Morgen Abend kannst du zurückkehren. Bis dahin habe ich entschieden, was mit dir geschehen wird.»
    Hakon tauschte einen Blick mit seiner Mutter. Dann drehte er sich um und ging zur Tür. Bevor er das Haus verließ, hörte er aus der Kammer Eiriks Stimme. Der Junge spielte offenbar mit dem Elch und schien glücklich zu sein.

16.
    Als Hakon erwachte, war es noch dunkel.
    Er fühlte sich wie gerädert, als er aus dem Heu kroch. Es war eine schreckliche Nacht gewesen. Immer wieder war er von Albträumen geplagt hochgeschreckt. Er hatte vom Grafen geträumt, der ihn zum Tode verurteilte und im Hafen von Haithabu ertränken wollte.
    Auf einem Querbalken unter dem Dach des Schuppens ließ der Rabe sein Krächzen hören.
    Hakon klopfte Heu von Hemd und Hose, gürtete das Schwert, warf sich den Mantel über und nahm den Beutel. Dann ging er zur Tür und stieß sie auf. Er wartete, bis der Rabe hindurchgeflogen war, dann folgte er dem Vogel nach draußen. Über den Bergen im Osten schimmerte ein erster Lichtstreif.
    In der Nacht war noch mehr Schnee gefallen, der in der hereinbrechenden Morgendämmerung auf dem Jarlshof glänzte.
    Hakon blieb vor dem Schuppen stehen, wo er den Mantel gegen die schneidende Kälte vor der Brust zusammenzog und mit den Füßen aufstampfte, um sich aufzuwärmen. Vor seinem Mund bildeten sich Atemwölkchen.
    Über dem Abzug des Langhauses sah er eine Rauchsäule stehen, die sich kerzengerade in den Himmel erhob. Die Menschen im Haus waren bereits wieder bei der Arbeit, backten Brot, versorgten das Vieh, webten – so wie jeden Tag.
    Aber für Hakon war dieser Tag alles andere als normal. Am Abend würde Sigurd sein Urteil sprechen, und Hakon würde es akzeptieren, wie auch immer sein Vater entschied.
    Doch zuvor hatte Hakon noch etwas zu erledigen.
    Er schulterte den Beutel mit dem Pergament und einigen Lebensmitteln, die von der Reise übrig waren, und setzte sich in Bewegung. Er verließ den Hof und kurz darauf die Stadt durch eines der Tore auf der dem Fjord abgewandten Seite. Von hier aus führte ein Pfad in die Berge. Unter der Schneedecke war der Weg zwar nicht zu erkennen, Hakon war ihn jedoch so häufig gegangen, dass er ihn mühelos wiederfand. Immer steiler wand sich der Pfad die Berge hinauf, vorbei an schneebedeckten Felsen, Büschen und kleinen, vom Wind geformten Bäumen.
    Hinter einem Felsen erwartete ihn der Rabe auf einem Birkenast. Es war kein Zufall, dass der Vogel ausgerechnet an dieser Stelle saß. Am Fuß der Birke stand der Busch, in dem Hakon ihn damals gefunden hatte.
    Hier oben hielt Hakon für einen Moment inne. Eine halbe Meile unter ihm lag der Fjord zwischen den Hängen. Steil fielen die schneebedeckten Berge zum Wasser hin ab und spiegelten sich auf der glatten Oberfläche des Fjords, an dessen Ufern sich das erste Eis bildete.
    Als Hakon nach einer Weile weitergehen wollte, hörte er hinter dem Felsen die Geräusche von Schritten im Schnee. Kurz darauf tauchte

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