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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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ausgesprochen hatte. Der Alte wusste längst, was geschehen war. Nicht, weil man es ihm berichtet hätte, sondern weil er es Hakon ansah.
    Inzwischen waren aus allen Ecken des Hauses die Knechte, Mägde und Sklaven gekommen, um mit Bergljot zusammen auf Hakons Antwort zu warten.
    Es war Sigurd, der sie gab.
    «Er lebt noch!», sagte er mit Bitterkeit in der Stimme.
    Hakon nickte.
    Sigurd wandte sich an Bergljot. «Hol mir Bier.»
    Sie schickte eine Sklavin los, die in der Vorratskammer einen Becher abfüllte und ihn Sigurd brachte.
    «Das ganze Fass», knurrte der Jarl.
    Dann ließ er sich auf seiner mit Fellen gepolsterten Bank nieder und begann zu trinken und an seinen buschigen Augenbrauen zu zupfen. Die anderen schauten ihm dabei zu. Niemand wagte es, sich zu bewegen.
    Nur der kleine Eirik wusste noch nichts von dem Respekt, den man einem verbitterten Jarl entgegenzubringen hatte. Er tapste zu Hakon und zupfte an dessen Hose. Als Hakon zu seinem Sohn hinunterschaute und den lachenden Mund mit den kleinen Zähnchen sah, versetzte es ihm einen Stich. Schnell kniete er nieder und nahm aus dem Beutel die kleine Figur, die er während der Überfahrt aus Speckstein geschnitzt hatte. Die Figur stellte einen Elch mit großem Geweih dar, ähnlich dem, das draußen am Tor hing.
    Eiriks Augen blitzten vor Freude auf, doch gleich darauf zuckte er zusammen, als Sigurds Stimme durch den Raum dröhnte.
    «Was ist das?», rief der Alte.
    «Ein Spielzeug», gab Hakon zurück und richtete sich wieder auf.
    «Nicht die Figur! Das da!»
    Hakon schaute auf die Stelle, auf die Sigurd zeigte, und sah, dass das eingerollte Pergament neben dem Beutel lag. Es musste herausgefallen sein, als Hakon seinem Sohn das Spielzeug gegeben hatte.
    Er hob es auf und rollte es auseinander. «Es sind Schriftzeichen darauf. Die Sachsen nennen es Pergament …»
    «Das weiß ich! Gehört es ihm?»
    «Ja.»
    Sigurd leerte den Becher und ließ ihn von der Sklavin wieder füllen, die mit dem Fass gleich bei ihm geblieben war.
    Da mischte sich Bergljot ein. «Du musst etwas essen, bevor du dich betrinkst! Es ist noch nicht einmal dunkel …»
    «Schweig, Weib!», donnerte der Jarl und sprang von der Bank auf. Die Sklavin wich ängstlich zurück. «Geht alle an die Arbeit und lasst mich allein mit diesem … diesem Mann!»
    Die Leute verteilten sich in der Halle. Hildirid brachte Eirik weg, der in seiner Hand den Elch Luftsprünge machen ließ.
    Nur Bergljot rührte sich nicht vom Fleck, sondern stemmte die Fäuste in ihre ausladenden Hüften und funkelte Sigurd angriffslustig an. Aber sie sagte nichts.
    Hakon war nicht überrascht von Sigurds Reaktion. Sein Vater erwartete, dass man seine Befehle ausführte, und der Befehl war eindeutig gewesen: Töte den Mann, der Hladir angreifen konnte, weil du versagt hast, unsere Stadt zu bewachen und zu verteidigen.
    Hakon überlegte, ob er seinem Vater von den Erlebnissen in der Mark berichten sollte. Aber was würde das ändern? Er hatte seinen Auftrag nicht erledigt, und das war das Einzige, was den Alten interessierte.
    «Er bringt ein Pergament mit», sagte Sigurd bei sich. «Ein wertloses Pergament!»
    «Für den Graf scheint es großen Wert zu haben», warf Hakon ein.
    Sigurd trank erneut aus, riss der Sklavin das Fass aus den Händen und schenkte sich selbst nach.
    Dann stand er auf und trat vor Hakon. «Ich sollte mir damit den Hintern abwischen, damit es irgendeinen Wert hat! Der Sachse hat deine Frau getötet und zwei Dutzend andere Frauen und Männer, und er hat deiner Mutter den Finger abgebissen – weil du unfähig warst, sie zu beschützen. Du bist ein Nichts! Ein wertloses Stück Dreck wie dieses Pergament!»
    «Sigurd, hör auf!», rief Bergljot dazwischen.
    «Halt den Mund, Weib!», fuhr der Alte sie an. «Du weißt selbst am besten, dass Svein und Heming meine Stadt mit ihrem Leben verteidigt hätten. Doch dein Sohn Hakon war nicht da, als man ihn brauchte.»
    Die Worte brannten wie Feuer in Hakons Ohren. Svein und Heming waren seine älteren Brüder gewesen. Vor einigen Jahren waren sie auf einem Raubzug von Dänen getötet worden. Nach ihrem Tod hatte Sigurd seine ganze Hoffnung auf Hakon, seinen jüngsten Sohn, gesetzt.
    Bier tropfte in Sigurds Bart, als er Hakon anbrüllte: «Der König der Nordländer, Hakon inn góði Aðalsteinsfóstri, hat dir seinen Namen gegeben, damals in jener Julnacht, als deine Mutter dich auf die Welt brachte. Du trägst den Namen eines Königs, aber du

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