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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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eine in einen Mantel gehüllte Gestalt auf. Ihr Kopf war unter einer dicken Fellmütze verborgen. Als sie aufschaute, erkannte er seine Mutter Bergljot.
    «Ich hatte schon befürchtet, dass ich dir bis zum Tempel nachlaufen muss», schnaufte sie und lächelte.
    Bevor Hakon etwas erwidern konnte, forderte sie ihn auf, sich mit ihr zu setzen. Hakon fegte den Schnee von einem Stein.
    «Ich habe deinen Vogel lange nicht mehr gesehen», sagte sie mit Blick auf den Raben, der oben auf dem Ast saß.
    «Er hat mich begleitet.»
    Sie nickte nachdenklich. «Es ist ein besonderes Tier. Du solltest auf ihn achtgeben.»
    «Ich glaube, es ist eher umgekehrt.»
    Hakon betrachtete das faltige Gesicht seiner Mutter. Sie hatte eine kleine Nase, schmale Lippen und ein ausgeprägtes Kinn. Das Bemerkenswerteste an ihr waren die Augen. Sie waren klar wie das Wasser eines Gebirgsbaches, so wie Eiriks. Und wie Thoras. Hakon selbst hatte die dunklen Augen seines Vaters.
    «Du trauerst noch immer um deine Frau», meinte sie.
    «Ja.»
    «Mhm. Sie war eine gute Frau, manchmal vielleicht etwas zu … nun ja, frech, aber treu und fleißig. Ja, das war sie. Ich mochte Thora.»
    Das überraschte Hakon. Er hatte noch nie mit Bergljot über Thora gesprochen. Von Anfang an hatte es Streit zwischen den Frauen gegeben. Bergljot hatte Thora als zu nachlässig empfunden, weil sie andere Vorstellungen von der Führung eines Haushalts hatte. Bergljot achtete übertrieben auf Sauberkeit. Ständig ließ sie den Boden im Langhaus fegen und nach jedem Essen Schalen und Becher mit frischem Wasser abwaschen. Zu ihrem Ärger hatte sich Thora kaum darum geschert, wenn Heu auf dem Boden lag oder Eiriks Holzspielzeuge im Weg waren.
    Bergljot seufzte. «Eines Tages wäre eine gute Hausfrau aus ihr geworden.»
    «Sie
war
eine gute Hausfrau, Mutter.»
    Bergljot legte ihre Hand, an der der Ringfinger fehlte, auf Hakons Arm.
    «Natürlich, entschuldige», sagte sie. «Man darf nicht schlecht über die Toten reden. Sie können uns sehen und hören, immer und überall.»
    Hakon dachte über die Bemerkung seiner Mutter nach. Er mochte den Gedanken, dass die Toten bei einem blieben. Das würde bedeuten, dass Thora ihn auch jetzt beobachtete und dass sie hörte, wie gut Bergljot über sie sprach.
    Er wollte seine Mutter gerade fragen, ob sich die Toten den Lebenden irgendwie bemerkbar machten, als sie ihm mit einer Frage zuvorkam.
    «Was willst du von Thorgerd?», fragte sie.
    Thorgerd Hölgabrud war die Schutzgöttin der Menschen von Hladir. Tatsächlich war Hakon auf dem Weg zu ihrem Tempel. Woher seine Mutter das wusste, war ihm ein Rätsel. Aber er fragte sie nicht danach.
    «Ich will zum Tempel gehen, um zur Göttin zu beten und sie um Verzeihung zu bitten für das, was ich euch angetan habe», antwortete er.
    «Sei nicht so ein Sturkopf wie dein Vater. Du hättest uns nicht retten können. Der Sachse und seine Krieger waren in der Überzahl. Wir hatten viel zu wenig Männer in der Stadt. Sigurd hatte die meisten mit auf Fahrt genommen.»
    Hakon schüttelte energisch den Kopf. «Ich hätte in der Stadt sein müssen. Um Waffen auszugeben, um die Leute zu führen und die Abwehr zu organisieren. Unter meiner Führung hätten die Männer gekämpft. Aber ich … ich war …»
    «Elche jagen, ich weiß.»
    Hakon nickte bitter. Obwohl Sigurd ihn mit der Stadtwache betraut hatte, war er an jenem Morgen in die Berge gegangen. Alle glaubten, er habe aus reinem Jagdvergnügen mit Pfeil und Bogen den Elchen nachstellen wollen. Dabei hatte er nur niemandem erzählt, dass er einige Tage zuvor in einem Tal einen Bullen mit einem Geweih gesehen hatte, das noch größer war als jenes, das Sigurd damals erbeutet hatte. Hakon musste das Tier erlegen, um seinem Vater zu beweisen, dass er nicht der Nichtsnutz war, für den dieser ihn hielt.
    Bis zum Mittag lag Hakon auf der Lauer. Dann kam das Tier zwischen den Bäumen hervor, um am Bach zu trinken. Hakon erlegte den Elch mit drei Pfeilen, schnitt ihm das Geweih ab und lief damit zurück in die Stadt. Das Tier, das für ihn allein viel zu schwer war, wollte er später mit den Knechten nachholen.
    Als er sich Hladir näherte, sah er die fremden Schiffe im Hafen. Und die vielen Männer, die die Häuser durchsuchten. Er warf das Geweih weg und rannte zum Jarlshof, den die Angreifer längst eingenommen hatten.
    Hakon wartete die Nacht ab, da sich auf dem Hof viele Soldaten und Blutmäntel aufhielten. Erst im Schutz der Dunkelheit schlich er

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