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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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heiße Wut in sich aufwallen. Aber er riss sich zusammen. Er durfte die Beherrschung noch nicht verlieren.
    «Bringt Wein und Fleisch – für mich und meine Männer!», rief er.
    «Wir haben selbst kaum etwas», entgegnete Sigurd trocken. «Es war kein gutes Jahr.»
    Thankmar glaubte dem Jarl nicht und schickte Ernust und einige Soldaten zu dem Raum, aus dem die Bediensteten die Töpfe geholt hatten. Kurz darauf kehrten die Sachsen mit zwei Weinfässern und Holzplatten zurück, die sie mit Würsten, Pökelfleisch und Räucherfisch vollgepackt hatten.
    «Das ist alles, was wir besitzen», knurrte Sigurd. Er beobachtete mit finsterem Blick die Sachsen, die das Essen unter sich verteilten.
    «Spricht er die Wahrheit?», wollte Thankmar von Ernust wissen.
    «Die Vorratskammer war wirklich fast leer.» Ernust machte eine bedauernde Geste. «Aber nun ist gar nichts mehr drin.»
    Lachend machten sich die Blutmäntel über Essen und Wein her. Auch Thankmar griff bei Fleisch und Fisch zu und ließ sich Wein einschenken.
    Er hob den Becher in Sigurds Richtung und rief: «Bringt dem Jarl Wasser!»
    Wieder lachten seine Männer.
    Sigurd ignorierte die Provokation. Stattdessen beriet er sich flüsternd mit den Alten.
    Thankmar ließ sie gewähren. Sollten sie ruhig reden, solange sie noch konnten. Vermutlich informierten die Alten ihren Jarl über die Vorgänge in der Stadt.
    Während er zuschaute, wie die Normannen die Köpfe zusammensteckten, genoss Thankmar das Essen und den Wein. Sigurd hatte ihn vermutlich von einem fränkischen Schiff erbeutet. So guten Wein konnten nur Franken herstellen. Er war köstlich, so wie Fleisch und Fisch. Als Thankmar satt war, ließ er sich von einer Sklavin einen Lappen und Wasser bringen und säuberte seine vor Fett triefenden Finger. Dann wandte er sich an Sigurd, der noch immer mit den Alten diskutierte.
    «Ich frage mich», sagte Thankmar, «wie es wohl Eurer Frau gehen mag. Da Ihr bei meinem letzten Besuch leider nicht zugegen wart, musste ich mit ihrer Gesellschaft vorliebnehmen. Und mit der Gesellschaft der Frau Eures Sohns. Ihr Name war Thora, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt.»
    Bei der Erwähnung des Namens zuckte Sigurd zusammen. Zum ersten Mal schien er verunsichert zu sein.
    «Ich habe Eurer Frau ein Geschenk mitgebracht», fuhr Thankmar fort. «Holt sie her, damit ich es ihr geben kann.»
    «Sie ist nicht hier.»
    Doch Thankmar war überzeugt, dass der Normanne das Weib in einem der hinteren Räume versteckte.
    «Wollt Ihr, dass meine Soldaten Euer Haus durchsuchen?», fragte Thankmar.
    Da winkte Sigurd einen Sklaven zu sich und sprach mit gedämpfter Stimme auf ihn ein. Der Sklave lief zu einer der Türen und kehrte kurz darauf in Begleitung einer weißhaarigen Frau zurück.
    Thankmar rief die Alte zu sich. Seit er Bergljot das letzte Mal gesehen hatte, schien sie deutlich gealtert zu sein. Ihr Gesicht war eingefallen und faltig wie ein alter Apfel, ihre Haut blass und ledrig. Sie stand mit gebeugtem Oberkörper vor ihm, als ruhe auf ihren Schultern eine schwere Last. Aber ihre Augen, aus denen sie Thankmar hasserfüllt anfunkelte, waren hellwach.
    Er forderte sie auf, ihm ihre linke Hand zu zeigen. Zögernd streckte sie sie ihm entgegen. Thankmar hatte damals den Ringfinger am unteren Glied abgetrennt. Die Wunde schien gut verheilt zu sein. Über dem Stumpf hatte sich Narbengewebe gebildet.
    «Ich habe etwas für dich», flüsterte Thankmar. «Möchtest du wissen, was es ist?»
    Als er sich etwas zur Seite beugte, konnte er sehen, wie Sigurd unruhig auf seinem Hochstuhl hin und her rutschte. Es verunsicherte ihn offensichtlich, nicht mitzubekommen, was mit seiner Frau geschah.
    «Nun?», fragte Thankmar die Frau. «Bist du gar nicht neugierig?»
    Bergljot schwieg beharrlich.
    Diese Normannen sind störrischer als Esel, dachte Thankmar. Er holte unter seinem Mantel einen kleinen Lederbeutel hervor, dessen Inhalt er in seine geöffnete Hand legte. Es war Wichmanns Ring.
    «Ein Geschenk», sagte Thankmar. «Gib mir deine andere Hand. Ich möchte ihn dir aufsetzen.»
    Bergljot riss vor Angst die Augen auf. Offenbar ahnte sie, was Thankmar vorhatte.
    «Deine rechte Hand, Frau!», zischte Thankmar.
    Endlich reichte sie sie über den Tisch. Thankmar erhob sich von der Bank, packte Bergljots Handgelenk und schob ihr den Ring auf den Finger. Sein Griff war fest. Die Frau stöhnte vor Schmerzen.
    «Ich habe Eurem Weib ein Geschenk gemacht!», rief Thankmar. «Jetzt werdet Ihr mir

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