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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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hatte – zu dieser Jahreszeit nicht mit einem Angriff gerechnet. Die Wehrgänge waren zwar besetzt gewesen, aber bevor die Krieger Verstärkung bekamen, hatte Thankmar längst die Palisaden mit Feuerpfeilen in Brand setzen und das Tor aufbrechen lassen. Die Normannen hatten keine andere Wahl, als die Waffen zu strecken. Zur Abschreckung für alle anderen Bewohner ließ Thankmar mehreren Männern auf dem Marktplatz die Köpfe abschlagen. Anschließend begannen die Sachsen und Dänen, die Stadt zu plündern. Thankmar zog, begleitet von Ernust und den Blutmänteln, zum Jarlshaus.
    Nun loderten in der Wohnhalle frisch entfachte Feuer, die die Kälte aus dem nachtkühlen Haus vertrieben. Diener und Sklaven liefen umher und bewirteten Thankmar und seine Blutmäntel an den Tischen. Angespannte Stille herrschte in der Halle. Sieger und Besiegte belauerten sich, niemand sprach ein Wort. Nur hin und wieder waren die klappernden Geräusche von Holzschüsseln und Löffeln zu hören.
    Die Sachsen konnten es kaum erwarten, etwas Anständiges zu essen zu bekommen. Vor drei Wochen waren sie in Haithabu aufgebrochen. Während der Fahrt hatten sie sich hauptsächlich von Trockenfisch, hartem Brot und Zwiebeln ernährt. Nur zu Beginn ihrer Reise, als sie wegen eines Sturms mehrere Tage bei einer Insel ausharren mussten, hatte Thankmar den Männern erlaubt, ein paar Höfe zu überfallen, damit ihnen die Warterei nicht zu lang wurde. Thankmar hatte gelernt, wie man Männer zu führen hatte. Daher wusste er, dass es kaum etwas Gefährlicheres gab als unzufriedene Soldaten. Das Geld, das er den Sachsen und Dänen zahlte, war das eine, Zerstreuung das andere. So hatten sie ihren Spaß gehabt und sich zugleich noch einmal richtig die Bäuche vollschlagen können. Inzwischen waren zwei weitere Wochen vergangen. Nach der ungemütlichen Reise, die sie zwischen den Inseln der Nordküste hindurchgeführt hatte, mit kalten, wechselnden Winden und tückischen Strömungen, waren der Hunger nach Essen, der Durst auf Wein und die Lust auf Weiber groß.
    Endlich trugen die Bediensteten große Töpfe in die Halle und verteilten sie. Die Blutmäntel hämmerten mit den Löffeln auf die Tischplatten.
    Thankmar ließ Sigurd nicht aus den Augen. Er hatte es dem Jarl gestattet, sich umzuziehen. Der Alte trug anstatt der Schlaftunika nun einen prächtigen Fellmantel.
    «Ich freue mich, Euch endlich kennenzulernen, Jarl Sigurd», sagte Thankmar.
    «Diese Freude ist ganz allein auf Eurer Seite», entgegnete Sigurd und fuhr sich durch den struppigen Graubart.
    Vier ältere Männer, die beim Jarl saßen, nickten bitter. Sigurd hatte darum gebeten, die Alten an der Verhandlung, wie er es bezeichnet hatte, teilnehmen zu lassen. Thankmar hatte ihm den Wunsch gewährt.
    Verhandlung? Thankmar musste innerlich über Sigurds Worte lachen. Glaubte der Alte tatsächlich, er könne hier irgendetwas für sich herausschlagen? Aber wenn Thankmar es recht bedachte, war die Annahme wirklich nicht ganz an den Haaren herbeigezogen. Vielleicht würde Sigurd tatsächlich etwas aushandeln können. Das Leben Hunderter Menschen hing davon ab, ob der Jarl kooperieren würde.
    Thankmar wollte gerade den dünnen Gesprächsfaden wieder aufnehmen, als neben ihm Ernust einen Fluch ausstieß. Man hatte seine und die Schüsseln der anderen Blutmäntel mit einer weißen, klebrigen Masse gefüllt. Ernust roch daran und schob die Schüssel angewidert fort.
    «Das Zeug stinkt wie meine Füße, wenn ich eine Woche lang meine Stiefel nicht ausgezogen habe», knurrte er.
    «Was ist das?», fragte Thankmar Sigurd über den Tisch hinweg.
    «Wir nennen es Skyr», antwortete der Jarl. «Es wird aus Ziegenmilch hergestellt.»
    Thankmar konnte es kaum glauben. Saurer Milchbrei? Machte sich Sigurd über ihn lustig?
    «Ihr habt nicht häufig Gäste, nehme ich an», sagte Thankmar.
    «Zumindest keine Sachsen», gab Sigurd zurück.
    Thankmar ballte die Hände zu Fäusten. Der Normanne hatte wirklich Mut, derart freche Antworten zu geben. Man hatte seine Stadt eingenommen, ein halbes Dutzend seiner Krieger erschlagen, und er behandelte die Sieger wie Bittsteller. Es war an der Zeit, härtere Töne anzuschlagen.
    Thankmar nahm die Schüssel, die vor ihm stand, und warf sie in hohem Bogen in das Feuer vor Sigurds Hochsitz. Ein Teil des Breis ergoss sich auf den Boden, der Rest verbrannte mit der Holzschale zischend in den Flammen.
    Sigurd verzog keine Miene. «Ich habe Euch nicht eingeladen.»
    Thankmar spürte

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