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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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der Sturm uns überraschte.»
    Der Bauer drehte sich um und rief einen älteren Mann zu sich, mit dem er sich eine Weile leise unterhielt.
    Hakon schaute zum Raben auf dem Dach des Hauses.
    Nach einer Weile wandte sich der Bauer wieder an die Gefangenen. «Die Flotte bestand aus sechs Schiffen mit Dänen und Sachsen, mindestens dreihundert Männer. Der Sturm hielt sie hier fest. Wir hatten Angst vor ihnen, dennoch boten wir ihnen unsere Gastfreundschaft an. Und weißt du, wie sie uns die Gastfreundschaft gedankt haben, Mann, der Hakon genannt wird?»
    Hakon gab keine Antwort. Eine schreckliche Vorahnung beschlich ihn.
    «Sie haben es uns gedankt», fuhr der Bauer fort, «indem sie auf Hising die Höfe geplündert und viele Männer, Frauen und Kinder getötet haben.»
    Der Bauer zeigte auf die junge Frau mit dem Messer. «Meine Tochter Jofried hat dabei den Mann verloren, den sie heiraten wollte. Als sie ihm beistehen wollte, hat man ihr die Zähne ausgeschlagen …»
    «Wie sahen die Sachsen aus?», brachte Hakon hervor. «Ich meine, was trugen sie für Kleidung?»
    «Rote Mäntel», erwiderte der Bauer, «blutrote Mäntel, zumindest einige von ihnen, und das waren die schlimmsten. Sie haben nicht nur getötet, sie haben unsere Leute verstümmelt, zerhackt …»
    Hakons Herz setzte einige Schläge aus. Die Blutmäntel waren hier gewesen! Was hatten sie hier zu suchen? Der Graf hatte bestimmt keine Flotte bemannt, um im Svealand Bauernhöfe zu überfallen. Nein, ganz sicher nicht. Wahrscheinlich waren die Sachsen auf dem Weg nach Norden gewesen, als der Sturm sie überrascht hatte. Nach Norden. Nach Hladir?
    «Lass uns endlich die Bastarde umbringen, Vater», rief die junge Frau.
    Aber der Bauer winkte ab. Er massierte seine Schläfen, als ob er unter Kopfschmerzen leide.
    «Heute nicht mehr», sagte er leise. «Ich … muss mich hinlegen … muss schlafen. Bindet die Räuber in der Scheune an die Pfähle. Für heute ist genug Blut vergossen worden …»
    «Aber Vater!», rief Jofried. «Du wirst sie doch nicht laufen lassen?»
    «Nein», sagte der Bauer, «das werde ich nicht tun. Auch wenn sie offenbar nicht zu den Mördern der Flotte gehören, wollten sie doch unseren Hof überfallen. Und dafür werden wir sie morgen früh hinrichten.»
    Er drehte sich um. Die Menschen bildeten eine Gasse, durch die sich der Bauer schwerfällig zum Haus schleppte.
    Hakon und die beiden Seeräuber wurden von Männern gepackt und an Ragis Leiche vorbei zu einer offenen Heuscheune geschleift. Dort wurden sie an Stützpfähle gefesselt, wie der Bauer es befohlen hatte.
    Allmählich senkte sich die Dunkelheit über das Anwesen. Hakon sah, dass die Svea sich zerstreuten. Ein Teil verließ den Hof, die anderen gingen ins Wohnhaus.
    «Ragi hat es gut», meinte Baug irgendwann. «Er hat es schon hinter sich.»
    «Ja, das hat er», sagte Fridgeir, der dritte Überlebende. «Uns bleibt nur noch das Warten auf den Tod.»
    Vielleicht auch nicht, dachte Hakon, als er den Raben krächzen hörte und ihn im Licht des aufgegangenen Mondes vom Langhaus auf das Dach der Scheune fliegen sah.

30.
    «Verdammte Kälte», schimpfte Höskuld.
    Er rieb seine Hände über der Feuerschale, in der noch Glutnester glommen. Wütend stampfte er mit den Stiefeln auf, um seine eingefrorenen Füße wieder zum Leben zu erwecken.
    Er hasste die Nachtwachen auf dem hölzernen Wehrgang von Hladir, vor allem in der kalten Jahreszeit. Der Dienst schien sich im Herbst ewig hinzuziehen, und im nahenden Winter, wenn es tagsüber kaum noch hell wurde, würde es noch schlimmer werden.
    «Mach nicht so einen Krach!», rief eine Stimme aus der Dunkelheit.
    Kveldulf, der Anführer der Stadtwache, trat zu ihm an die Feuerschale.
    «Mit deinem Getrampel weckst du noch die ganze Stadt auf», schnauzte er.
    «Mir ist kalt!», erwiderte Höskuld, hielt aber die Füße still.
    «Na und?» Kveldulf streckte seine Hände ebenfalls über die Glut, die kaum noch Wärme spendete. «Meine Füße sind auch eingefroren.»
    «Dann lass uns ein paar Scheite auflegen», bat Höskuld.
    Auf dem Wehrgang standen in regelmäßigen Abständen Feuerschalen, die zu Beginn der Nachtwache mit glühenden Kohlen und Holz gefüllt wurden. Doch die Wärmespender hielten nie lange genug vor.
    «Du kennst die Anordnung», sagte Kveldulf. «Keine Feuer auf dem Wehrgang, wenn es dunkel ist!»
    «Wer soll es denn sehen? Die Wale? Der Fjord fängt schon an zuzufrieren. Bis zum nächsten Frühjahr wird kein

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