Das Lied des Todes
Schiff mehr nach Hladir kommen. Außerdem haben sich Gunnhilds Söhne schon lange nicht mehr blicken lassen.»
Gunnhild war die Frau des vor einigen Jahren getöteten Königs Erich Blutaxt gewesen. So wie Erich lagen auch Gunnhild und ihre Söhne im ewigen Streit mit Sigurd. Es ging dabei um die Vorherrschaft im Lande Nordmoer und somit um die Kontrolle über den Pelzhandel mit den Samen und Terfinnen. Doch Sigurd leistete Gunnhild erbitterten Widerstand, auch wenn er allein gegen sie stand, nachdem ihre Söhne Sigurds Verbündeten, König Hakon den Guten, ermordet hatten.
«Befehl ist Befehl!», knurrte Kveldulf.
Seufzend wandte sich Höskuld ab und starrte wieder in die Dunkelheit. Vom Fjord her wehte ihm kalter Wind ins Gesicht. Im Hafen hörte er die Masten der Schiffe knarren, die noch nicht an Land gebracht worden waren. In der Stadt war es still. Die Bewohner schliefen friedlich und beschützt. Beschützt von Männern wie Höskuld, der sich auf dem Wehrgang den Hintern abfror.
Da glaubte er mit einem Mal, irgendwo draußen auf dem Fjord, jenseits der Schären, Geräusche zu hören. Er legte die Hände an die Ohren und lauschte. Da war es wieder. Es klang nach … Walen, die mit ihren Buckeln die Wasseroberfläche durchbrachen.
Natürlich sind es Wale!, dachte Höskuld. Jeden Herbst kamen Hunderte Schwertwale an die Küsten, wo die stolzen, schwarzweiß gemusterten Tiere Jagd auf Lachse, Kabeljau und Hering machten.
Wir bewachen die Stadt vor Walen, dachte Höskuld grimmig.
Er wandte sich wieder Kveldulf zu und fragte nach dessen Frau, nur um irgendetwas zu sagen.
«Liegt im Bett, was sonst», antwortete der Anführer.
Er stocherte mit seinem Messer auf der Suche nach einem glühenden Stück Kohle in der Feuerschale. «Und was macht dein Weib?»
«Schläft ebenfalls, nehme ich jedenfalls an. Wäre jetzt gern bei ihr, um mich an ihr zu wärmen.»
Kveldulf warf ihm einen scharfen Blick zu. «Was willst du damit sagen?»
«Was glaubst du denn?»
«Pass gut auf, was du tust. Solltest du versuchen, deinen Posten zu verlassen, um zu deinem Weib unter die Felle zu kriechen, hältst du die nächste Nachtwache ohne Mantel und Stiefel.»
Höskuld verdrehte die Augen und wandte sich ab. Es half nichts. Bis zum Morgengrauen würde er hier draußen ausharren müssen. Mit Kveldulf war einfach nicht zu reden. Höskulds einziger Trost war, dass es nicht mehr lange bis zur Dämmerung dauern konnte, wenn ihn sein Zeitgefühl nicht täuschte. Und tatsächlich erhob sich bald über den Bergen im Osten ein zarter Schimmer. Endlich! Gleich würde die Ablösung kommen.
Er dachte an seine Frau und sehnte sich nach ihrer schlafwarmen Haut und nach ihren weichen Brüsten. Daran würde er sich wärmen, bevor er den Schlaf nachholte.
Voller Vorfreude sperrte er den Mund auf, um herzhaft zu gähnen. Er begann wieder, mit den Füßen aufzustampfen, in die die Kälte mit unverminderter Grausamkeit kniff.
Plötzlich hielt er inne. Das aufkommende Tageslicht verdrängte zunehmend die Dunkelheit. Auf dem Fjord hatte sich Nebel gebildet, der in hellen Schwaden über der Wasseroberfläche waberte. Da hörte er wieder die Geräusche. Aber es waren keine jagenden Schwertwale. Es waren Schiffe! Ganz deutlich schälten sich die Umrisse aus dem Dunst.
Der Anblick ließ Höskuld erstarren. Erst sah er zwei Schiffe auftauchen, dann weitere. Angetrieben von Rudern, hielten insgesamt sechs Langschiffe wie eine Geisterflotte auf die Stadt zu.
«Da, sieh doch!», stieß Höskuld aus, als er seine Sprache wiedergefunden hatte.
Kveldulf, der noch immer in der Feuerschale stocherte, schaute auf. Sein Blick folgte Höskulds ausgestrecktem Arm zum nebelverhangenen Fjord.
Dann ließ er das Messer in der erkalteten Asche stecken, formte mit den Händen einen Trichter um den Mund und rief, so laut er konnte, nach den anderen Kriegern.
Höskulds Gedanken an sein Weib waren wie fortgeblasen.
31.
Thankmar machte es sich im Jarlshaus gemütlich.
Er konnte zufrieden sein, bislang war alles nach Plan gelaufen. In einem Handstreich hatte er das Seeräubernest eingenommen. Dieser Sigurd, der jetzt mühsam um Haltung ringend auf seinem Hochstuhl saß, mochte vielleicht ein erfolgreicher Wikinger sein. Für den ausreichenden Schutz seiner Stadt konnte er aber nicht sorgen. So wie damals, als Thankmar die Stadt zum ersten Mal überfallen hatte, hatte es auch heute kaum Gegenwehr gegeben. Offenbar hatten die Normannen – so wie Thankmar gehofft
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