Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)

Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)

Titel: Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
Vom Netzwerk:
Rücken. So nah. A spürte die Sehnsucht nach Gewalt unausgesprochen hinter sich. ›Fliehen ist nur ein weiterer Weg zu zeigen, wer du bist‹, hatte ihr einmal jemand anvertraut. Also stieg sie hinunter, atmete tief ein und noch tiefer wieder aus. Manchmal muss man die Wellen über sich kommen lassen, damit man weiterschwimmen kann.
    Der Mann mit der Winterstimme trat ins Licht. Blasse, dünne Haare klebten auf seinem schmalen Schädel. Er trug einen schwarzen Anzug mit einem schönen Gehrock darüber, als wäre er gerade von einer wichtigen Veranstaltung nur ihretwegen hierher geeilt. Er war sehr schlank, groß und trotz des Regens, der auf alles hernieder platschte, konnte sie ein leises Pfeifen aus seiner Nase hören, jeder Atemzug war davon eingehüllt. In seinen langen Armen, die schlaff neben ihm hingen, lag am Ende etwas in seiner Hand. Es sah aus wie eine zu kurze, silberne Pistole. Doch dann bemerkte sie die Nadel, die am Ende im Licht glitzerte. Am Eingang der kurzen Gasse stand ein bulliger Schatten. Reglos. Wartend. Nicht einmal eine Schlange wäre dort vorbeigekommen. Ihre Beine begannen zu zittern. Angst. Kälte. Kalte Angst.
    »Man nennt mich Mr LaRue, Mädchen.« Ein kurzes Lächeln huschte wie eine Ratte mit Beute über seine dicken Lippen. Sweeny neben ihr unterdrückte ein Glucksen. Nr. 7, weiter hinten, hielt sich schnell die Hand vor den Mund. Offenbar war ein Witz gemacht worden. A lachte nicht, was Mr LaRue offensichtlich nicht behagte, denn seine linke Hand zuckte. Nun sah sie auch die scharfen Falten, die an seinen Wangen herunter rannen wie im Schatten liegende Schriftzeichen. Dann stand er vor ihr. Jetzt begannen auch ihre Hände zu zittern. Der Regen schlüpfte in ihren Körper.
    »Streck deine linke Hand aus, bitte.« A streckte ihre Hand vor. Dicke Tropfen zerplatzten darin. Es war wunderschön. Mit einer fließenden Bewegung stach die Nadel durch die Haut, dann drückte Mr LaRue den Abzug und sie spürte plötzlich, wie der Regen versiegte, wie die Mauern neben und hinter ihr nach Hause gingen, denn es war Zeit für den Feierabend. Die Flasche, die gegen die Wand gekullert war, richtete sich auf, zog einen alten Mantel über und brummte etwas von verdammte Überstunden , während sie ungelenk davon humpelte. A begann zu lächeln.
    »So ist´s gut.« Der Satz - eine einzelne Schneeflocke. Weiß. Hell. Hell war gut. »Als würde jeder Muskel in dir an die See zum Urlaub fahren, nicht?!« A konnte nur noch nicken, dann fiel sie.
    Es war seltsam, aber sie wusste, dass ihr Körper auf dem Asphalt lag, während ihr Geist noch weiter stürzte. In dieser Schwärze fühlte sie den Regen auf sich trommeln, jeden einzelnen Druckpunkt, den er dabei hinterließ. Auch Stimmen konnte sie hören, wie in einen fremden Traum gedrückt. Sie klangen verwischt, als wären Tücher vor ihre Münder gepresst. Später sollte ihr diese Fähigkeit einmal das Leben retten, doch nicht jetzt. Jetzt war A auf dem Weg in das Herz der Finsternis.
     

Der falsche Weg
     
    Sie fuhren. Anevay spürte es mehr, als dass sie es wusste. Manchmal, wenn die Droge in ihren Adern Luft holen musste, sah sie die Kronen von Bäumen über sich hinwegziehen. Eine verschlissene Mondsichel raste ihr nach, hoch oben, als müsse, nein, als wolle sie A im Auge behalten. ›Papa?‹ Dann war sie wieder fort aus dem schmalen Streifen zerkratzten Glases, das in das Dach eingelassen war. Silben ätherischer Musik glitten ebenfalls darüber, sobald sie nur noch die Wolken erblickte ... und dann nichts mehr.
    Sie wusste nicht mehr, wie viele Stunden es waren, nur dass es irgendwann zu dämmern begann. Sonst hatte A jeden Tag mit ihrem Vater die Sonne im Osten begrüßt, mit einem kleinen Gebet und einem leisen Lied. Heute jedoch würde niemand von ihnen beiden für die Sonne singen. ›Es tut mir leid‹, flüsterte sie mit stummen Lippen.
    Grober Kies knirschte unter den Reifen. Der Wagen hielt. Türen wurden geöffnet, zugeschlagen. Dann kamen Schritte. Ihr Herz begann mit einem schnelleren Rhythmus. Ihre Muskeln spannten sich an. Der Verschlag wurde aufgerissen, ein Kerl mit einem weißen Overall starrte sie an, zuerst gelangweilt, dann unsicher. Hinter ihm färbte sich der Himmel in vergoldetes Rot.
    »Die ist ja wach, Sir!«, rief er über die Schulter hinweg. Westküstenakzent. Gedehnt. Langsam. A bewegte ihre Zehen, ließ ihre Hände auf- und zuschnappen.
    »Sie ist voll mit LaRues Spezialmischung. Piss dir nicht ins Hemd,

Weitere Kostenlose Bücher