Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
wie ein Stück Meer, das vor langer Zeit gefangen genommen worden war. Der See war entstanden, als vor über 800 Jahren der heute berühmte Graf Adolf III durch die Anstauung des Flusses mittels eines Damms einen Mühlenteich anlegen wollte, um damit eine große Kornmühle anzutreiben. Durch einen Fehler wurden dabei die unbewohnten Alsterwiesen großflächig überflutet. Doch der Graf wäre kein Graf gewesen, wenn er das nicht ohnehin von Anfang an vorgehabt hätte. So hatte die Stadt eben einen See, auch nicht schlecht.
Robert setzte seinen Zylinder fester auf den Schädel und zog sich einen Handschuh über die rechte Hand. Er bemerkte Coldlakes fragenden Blick.
»Das Metall wird nicht kalt«, erklärte er kurz angebunden und der Schotte schwieg.
Sie schlenderten durch den Park am Seeufer entlang. Nur wenige Segler waren auf dem Wasser, der Wind war böig, schien ständig die Richtung zu wechseln. Wenn ihnen jemand entgegen kam, dann grüßten sie höflich, so wie es Sitte war. Alsbald verließen sie den gepflasterten Weg und schlugen sich durch die Bäume direkt an den See. Robert steckte sich einen Zigarillo an, der Qualm wurde vom Wind fortgerissen. Wenn Zauberer in der Nähe gewesen wären, so hätte Taris, der oben über den Wellen langsame Kreise zog, ihn gewarnt.
»Dann erzählen Sie mal, Coldlake. Was munkelt man denn nun in den Kaschemmen Hammaburgs?«
»Sir, da ich davon ausgehe, dass Sie auch nicht ganz unwissend sind, verzeihen Sie es mir, wenn ich über Dinge spreche, die Ihnen bereits bekannt sind.«
Robert ließ ihn fortfahren.
»Schon lange weiß man, dass es zwischen dem Kronprinzen und seinem Vater, dem Kaiser, nicht sonderlich ... wie soll ich sagen ... familiär zugeht.«
»Die beiden hassen sich.«
»Ja, Sir. Aber wussten Sie auch, dass Prinz Ludwig zwei ältere Brüder hatte?« Nein, das hatte er nicht gewusst, aus einem einfachen Grund, es interessierte ihn nicht.
»Beide Brüder sind schon lange tot. Der eine, Gunter, ging bei einem Seemanöver in einem Sturm über Bord. Man fand ihn vier Tage später mit dem kaiserlichen Gesicht nach unten im Meer treibend. Der andere, Valgard, trat eine Reise an und kehrte nicht mehr zurück. Niemand weiß, was geschehen ist. Wollte angeblich seine Geliebte auf der Insel Sylt treffen, doch kam er dort niemals an. Seither gilt er als verschollen, beziehungsweise seit etwa drei Monaten offiziell als tot. Am Kaiserhof munkelt man, Ludwig stecke dahinter, doch beweisen ließe sich das natürlich nicht. Nicht nur, weil kein Beamter so lebensmüde wäre, diesbezüglich eine Untersuchung anzustreben.«
Robert bekam eine Gänsehaut. Selbst wenn der Kaiser seinen eigenen Sohn in Verdacht gehabt haben sollte, er hätte es nicht zugelassen, dass dieser Hauch eines Schattens das Ansehen der kaiserlichen Familie auch nur berührte. Gegen Gerüchte war man machtlos, aber die Fassade blieb dennoch makellos. Er wies Coldlake an fortzufahren.
»Der Kummer hält seitdem den alten Mann in seinen Klauen. Hat sich Karten legen lassen, Tieropfer verbrannt, lag angeblich tagelang im Tempel der Hel auf den Knien und flehte um seine verlorenen Söhne. Nun, zurückbekommen hat er sie jedenfalls nicht.«
Robert tadelte diesen Satz mit einem mürrischen Blick.
»Verzeihung, Sir.« Der Schotte schnäuzte sich, bevor er fortfuhr. »Dann soll der Kaiser einen Brief erhalten haben, aber der Inhalt ist reine Spekulation. Dennoch schien der Brief eine Wirkung zu haben, denn Kaiser Ferdinand erholte sich langsam, aber beständig. Seitdem ist er nicht ein einziges Mal mehr im Tempel des Odin gesehen worden, oder in sonst irgendeinem Tempel. Ich musste vier Runden Bullenschluck schmeißen, bis endlich das Wort Christentum fiel.«
Robert wirbelte herum. Hatte er sich gerade verhört? Das wäre Hochverrat, Landesverrat, Verrat am Feuerbund - wenn nicht gar Verrat an allem! Verfluchter Mist, verdammter. Das war gar nicht gut.
Das mit den Christen war eine ganz andere Sache. Seit Jahrhunderten ignorierte man sich gegenseitig recht erfolgreich, doch seit zwei Jahren gab es einen neuen Papst. Urban V. Dieser hatte es sich offenbar zum Lebensinhalt gemacht, die Götter des Nordens zu schmähen, wo er nur konnte. So krakeelte er zuweilen im fernen Rom oder Madrid - wo auch immer er gerade residierte - herum, während der Feuerbund so tat, als wäre er plötzlich taub geworden. Niemand wollte einen Krieg des Glaubens. Das war ungefähr so schlau, wie die Hand in einen Dachsbau zu
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