Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
Eine junge Frau. Eine unheilvolle Kombination. Sein Großvater hatte einmal gesagt: Was immer du tust, tue es mit dem wahren Herzen. Doch das war Unsinn, wie sollte ein Organ wahr oder unwahr sein? Schlicht unmöglich. Taris sah ihn an, Poe sah ihn an.
»Was?», zischte Robert. Er merkte gar nicht, dass er schon den Mantel überstreifte, den er erst vor Tagen gekauft hatte. Die Zeitungen hatten vage von einigen Verschwundenen berichtet, kurz darauf war alles dementiert worden, eine bedauerliche Fehlmeldung. Er hatte den Zeilen nicht geglaubt. Warum solch eine verwirrende Handlungsweise? Robert hatte keinen plausiblen Grund dafür gefunden. Und wenn, so war ein kleiner Teil von ihm doch recht ungehalten darüber, dass niemand ihn in diese eventuell wichtigen Gerüchte eingeweiht hatte. Denn Coldlake war ebenfalls seit Wochen unauffindbar.
Taris´ Auge zoomte ihn heran, Poe stellte die Ohren auf, als müsse er ganz wichtigen Worten lauschen.
»Ja, verdammt! Ich kümmere mich darum! Zufrieden?«
Die beiden Clangeister nickten in gemeinsamer Zustim-mung.
Robert stand ohnehin bereits angezogen da, mit dem dunkelblauen, langen Mantel, wie ihn sonst nur Schiffskapitäne trugen, geschmückt mit einer Doppelreihe von Knöpfen, die einen roten, stilisierten Anker auf einem Rund aus schwarzem Perlmutt zeigten. Dieser Aufzug nötigte auf den ersten Blick Respekt ab, denn Kapitäne genossen im nordischen Feuerbund großes Ansehen. Robert hatte noch niemals davon gehört, dass ein Kapitän des Nachts ausgeraubt oder gar getötet worden war. Es kam einem Fluch gleich, so etwas Dummes zu tun. Also war dies die passende Tarnung, gerade hier im Hafenviertel.
Er setzte sich eine Mütze auf und darüber den Dreispitz, sie hatten keinen in seiner Größe gehabt. Der Hut stank nach Fett, aber das musste er wohl, wenn er wetterfest sein sollte. Beim Kauf all dieser Dinge hatte Robert so kräftig gelogen, dass Thor der Hammer aus der Faust gefallen wäre. Schiffskapitän Eldon Teerbrook, dessen kostbarer Mantel und Hut bei einer beispiellosen Rettungsaktion zu Schaden gekommen waren, benötige Ersatz, hopphopp. Er habe dem Tod ins Auge gesehen, Freunde. Feuer im Maschinenraum, Evakuierung der Passagiere und Mannschaft in die Rettungsbote, nur der Kapitän löschte im letzten Moment das Feuer. Jetzt brauche er übergangsweise neue Kleidung, der Preis spiele keine Rolle, bei Hel! Man erwarte seinen Bericht in London, er müsse sich sputen.
Wer als Kind stundenlang mit seiner Schwester in den Wäldern des Schlosses herumgewuselt war, um dabei spannende Geschichten zu erfinden und später der fantastischen Literatur eines Jules Verne verfallen war, dem fielen solche Dinge von den Lippen wie Regen vom Himmel. Seinen Metallarm hatte er sorgsam verborgen, eine Verletzung vortäuschend.
Robert band die langen Haare mit einer schwarzen Klammer aus Eschenholz nach hinten, schlug den Kragen hoch und zog dünne Handschuhe über.
»Bei den Göttern, ich hoffe, ich spucke damit dem Kronprinzen nicht in irgendein düsteres Süppchen.«
Als er aus der Tür trat, konnte er nicht einmal das Ende der Treppe erkennen, geschweige denn den Garten dahinter. Der Nebel war dick wie Eintopf, alles schien ineinander zu wabern, in einem undurchsichtigen Grau gefangen, das die ganze Stadt ausfüllte. Zudem war es, als müsse man durch einen kalten, feuchten Lappen atmen. Robert knotete sich ein dunkles Tuch vor Mund und Nase.
Vorsichtig stieg er die Außentreppe hinab, durch den Garten, wobei er nicht wirklich sah, wohin er seine Schritte setzte, und dann auf die Gasse. Es war unwirklich, sogar die Geschäfte auf der gegenüberliegenden Seite waren kaum zu erkennen. Was war das für ein verrücktes Wetter? Er sollte seinen Kompass zu Rate ziehen.
»Hier entlang, Lord.« Robert zuckte zusammen, als Taris plötzlich neben seiner Schulter wisperte. Der Falke benutzte so gut wie immer eine förmliche Anrede. Das höchste der Gefühle war ein einfaches Robert , wobei er dann doch noch flugs ein Lord hinzufügte, damit eine gewisse Distanz gewahrt blieb zwischen dem Clanhüter und seinem Geist.
Am Ende der Windgasse - die Teil eines Halbrings war - lenkte Taris ihn geradeaus weiter. Roberts Stiefel hallten zwischen den dunklen Backsteinen. Das Straßenschild, das an der Hauswand hing, konnte er im Dunst nicht lesen. Doch war es sicher einer jener engen Verbindungswege, die man in Hammaburg Stege nannte, denn er war kaum breiter als Roberts Schultern.
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