Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
Tod besiegt haben.«
In dem indigofarbenen Dämmerlicht konnte sie die runzligen Züge des Unsterblichen zu ihrer Rechten erkennen, eines alten, alten Mannes voller Falten und ohne Haare. Seine Haut war ein tiefes Veilchenblau, seine Lippen und seine Nägel waren sogar noch blauer, so dunkel, dass es fast schon an Schwarz grenzte. Sogar das Weiß seiner Augen war blau. Starr und blind waren diese auf die uralte Frau ihm gegenüber auf der anderen Seite des Tisches gerichtet, deren helles
Seidenkleid ihr am Leibe vermoderte. Eine verwelkte Brust war nach Art der Qartheen nackt, und die spitze blaue Warze war hart wie Leder.
Sie atmet nicht. Dany lauschte in die Stille hinein. Keiner von ihnen atmet, sie bewegen sich nicht und ihre Augen sehen nichts. Sind die Unsterblichen vielleicht tot?
Ihre Antwort bestand aus einem Flüstern, dünn wie die Schnurrhaare einer Maus. … Wir leben … leben … leben … Myriaden von Stimmen wisperten ein Echo … und wissen … wissen … wissen …
»Ich bin zu Euch gekommen, um die Gabe der Wahrheit zu erhalten«, sagte Dany. »Die Dinge, die ich in dem langen Gang gesehen habe … Waren das Visionen oder Lügen? Vergangene Ereignisse oder das Geschehen der Zukunft? Was haben sie zu bedeuten?«
… die Schemen der Schatten … die Morgen, die noch nicht gekommen sind … trinke vom Becher des Eises … trinke vom Becher des Feuers … Mutter der Drachen … Kind der Drei …
»Drei?« Sie verstand nicht.
… drei Köpfe hat der Drache … Der Geisterchor ertönte in ihrem Kopf, obwohl niemand die Lippen und kein Atemhauch die stille blaue Luft bewegte … Mutter der Drachen … Kind des Sturms … Das Flüstern wurde zu einem wilden Lied … drei Feuer musst du entfachen … eins für das Leben und eins für den Tod und eins für die Liebe … Ihr eigenes Herz schlug nun im Gleichklang mit dem, welches blau und verfault vor ihr schwebte … drei Hengste musst du reiten … einen zum Bett und einen zur Angst und einen zur Liebe … Die Stimmen wurden lauter, bemerkte sie, und ihr Herz schien langsamer zu schlagen, sogar ihr Atem verlangsamte sich … dreifachen Verrat wirst du erleben … einen um des Blutes willen und einen um des Goldes willen und einen um der Liebe willen …
»Ich …« Ihre Stimme kam kaum über ein Flüstern hinaus, war beinahe so leise wie ihre Stimmen. Was geschah ihr hier? »Ich verstehe nicht«, sagte sie etwas lauter. Warum fiel es ihr
so schwer, an diesem Ort zu sprechen? »Helft mir. Zeigt es mir.«
… ihr helfen … Die Stimmen verspotteten sie … es ihr zeigen …
Dann schimmerten Phantome im Dämmerlicht, indigofarbene Bilder. Viserys schrie, während ihm geschmolzenes Gold über die Wangen lief und seinen Mund füllte. Ein großer Lord mit kupferfarbener Haut und silbergoldenem Haar stand unter einem Banner mit einem feurigen Hengst, im Hintergrund sah man eine brennende Stadt. Rubine spritzten wie Blutstropfen von der Brust eines sterbenden Prinzen, er sank im Wasser auf die Knie und murmelte mit seinem letzten Atemzug den Namen einer Frau … Mutter der Drachen, Tochter des Todes … Ein blauäugiger König, der keinen Schatten warf, hob ein rotes Schwert, das wie der Sonnenuntergang glühte. Ein Stoffdrache schwankte auf Stangen über einer jubelnden Menge. Von einem rauchenden Turm warf sich eine steinerne geflügelte Bestie in die Luft und schnaubte Schattenfeuer … Mutter der Drachen, Tod der Lügen … Ihre Silberne trabte durchs Gras zu einem dunklen Bach unter einem Meer von Sternen. Ein Leichnam stand am Bug eines Schiffes, die Augen leuchteten im toten Gesicht, die grauen Lippen waren zu einem traurigen Lächeln verzogen. Eine blaue Blume wuchs aus einem Spalt in einer Mauer aus Eis und erfüllte die Luft mit ihrem süßen Duft … Mutter der Drachen, Braut des Feuers …
Rascher und rascher wechselten die Visionen, eine nach der anderen, bis die Luft selbst zum Leben zu erwachen schien. Knochenlose, entsetzliche Schatten wirbelten umher und tanzten in einem Zelt. Ein kleines Mädchen rannte barfuß auf ein großes Haus mit einer roten Tür zu. Mirri Maz Duur kreischte in den Flammen, ein Drache brach aus ihrer Stirn hervor. Hinter einem silbernen Pferd wurde die blutige nackte Leiche eines Mannes über den Boden geschleift. Ein weißer Löwe lief durch übermannshohes Gras.
Am Fuße der Mutter der Berge kroch eine Reihe nackter alter Weiber aus einem großen See und sie alle knieten zitternd mit gesenkten grauen Köpfen
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