Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
angestarrt hast.« Wies wischte sich die Finger an ihrer Schürze ab. Dann packte er sie mit einer Hand an der Kehle und schlug ihr mit der anderen ins Gesicht. »Was habe ich euch gesagt?« Er schlug abermals zu, diesmal mit dem Handrücken. »Haltet die Augen schön gesenkt, oder ich reiße euch eins heraus und verfüttere es an meine Hündin.« Er stieß sie fort, und sie landete auf dem Boden. Der Saum ihres Kleids verfing sich an einem Nagel der hölzernen Bank und zerriss. »Das wirst du flicken, ehe du schlafen gehst«, befahl Wies und stopfte sich das letzte Fleisch des Kapauns in den Mund. Nachdem er fertig war, leckte er sich lautstark die Finger ab und warf die Knochen dem hässlichen gefleckten Hund zu.
»Wies«, flüsterte Arya in dieser Nacht, während sie sich über den Riss in ihrem Kleid beugte, »Dunsen, Polliver, Raff der Liebling«, sagte sie und zählte für jeden Stich mit der Knochennadel durch die ungefärbte Wolle einen Namen auf. »Der Kitzler und der Bluthund. Ser Gregor, Ser Amory, Ser Ilyn, Ser Meryn, König Joffrey, Königin Cersei.« Sie fragte sich, wie oft sie wohl Wies noch in ihr Gebet einschließen musste, und schlief mit dem Gedanken ein, dass er morgen, wenn sie erwachte, womöglich bereits tot sein würde.
Doch es war der harte Tritt von Wies’ Stiefelspitze, der sie wie immer weckte. Heute würde der Hauptteil von Lord Tywins Heer aufbrechen, erklärte er ihnen, während sie ihre Haferkekse zum Frühstück aßen. »Glaubt ja nicht, ihr könntet faul herumsitzen, wenn M’lord Lennister ins Feld gezogen ist«, warnte er. »Die Burg wird dadurch nicht kleiner, das verspreche ich euch, es werden nur weniger Leute da sein, um die Arbeit zu erledigen. Jetzt werdet ihr Faulpelze endlich lernen, was richtige Arbeit ist.«
Aber du wirst es uns nicht beibringen. Arya nahm ihren Haferkeks. Wies starrte sie stirnrunzelnd an, als habe er ihr Geheimnis gerochen. Rasch senkte sie den Blick auf ihr Essen und wagte nicht, ihn noch einmal zu heben.
Bleiches Licht erhellte den Hof, als Lord Tywin Harrenhal verließ. Arya sah von einem Bogenfenster in der Mitte des Klageturms aus zu. Sein Streitross trug eine Decke aus emaillierten purpurroten Schuppen und einen vergoldeten Kopfschutz, während Lord Tywin selbst einen dicken Hermelinmantel angelegt hatte. Sein Bruder Ser Kevan sah beinahe genauso prächtig aus. Nicht weniger als vier Standartenträger marschierten vor ihnen her und trugen die riesigen purpurroten Banner mit dem goldenen Löwen. Hinter den Lennisters folgten ihre höchsten Lords und Hauptleute. Ihre Banner wehten und knatterten im Wind und boten dem Auge ein Schauspiel bunter Farben: roter Ochse und goldener Berg, purpurfarbenes Einhorn und Zwerghahn, gestromter Eber und Dachs, silbernes Frettchen und Jongleur in Karos, Sterne und Sonnen, Pfau und Panter, Winkel und Dolch, schwarze Haube und blauer Käfer und grüner Pfeil.
Als Letzter kam Ser Gregor Clegane in seiner grauen Rüstung auf einem Hengst, der genauso schlechte Laune zu haben schien wie sein Reiter. Polliver ritt an seiner Seite und hielt das Banner mit dem schwarzen Hund. Auf seinem Kopf saß Gendrys gehörnter Helm. Er war ein großer Mann, doch
in Gegenwart seines Herrn wirkte er wie ein halbwüchsiger Junge.
Ein Schauer kroch Arya den Rücken hinunter, während sie zuschaute, wie sie unter dem großen eisernen Fallgitter von Harrenhal hindurchritten. Plötzlich wusste sie, was für einen fürchterlichen Fehler sie begangen hatte. Ich bin so dumm, dachte sie. Wies war nicht wichtig, und Chiswyck ebenso wenig. Die da unten waren die Männer, auf die es ankam, diejenigen, die sie hätte töten lassen sollen. Letzte Nacht hätte sie jeden von ihnen totflüstern können, wenn sie nur nicht so wütend auf Wies gewesen wäre, weil der sie geschlagen und wegen des Kapauns belogen hatte. Lord Tywin, warum habe ich nicht Lord Tywin gesagt?
Vielleicht war es noch nicht zu spät, ihre Meinung zu ändern. Wenn sie Jaqen rasch fand und es ihm sagte …
Rasch rannte Arya die Wendeltreppe hinunter und hatte ihre Arbeit ganz vergessen. Sie hörte das Rasseln von Ketten, als das Fallgitter geschlossen wurde und seine Spitzen tief im Boden versanken … und dann einen anderen Laut, einen Schrei der Angst und des Schmerzes.
Ein Dutzend Leute waren vor ihr da, doch niemand wollte zu nahe herangehen. Arya drängte sich zwischen ihnen hindurch. Wies lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Pflaster, seine Kehle war ein einziges
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