Das Lied von Eis und Feuer 6 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 6 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (2)
Himmel, und über der ganzen Burg lagen dunkle Schatten. »Zünde das Feuer an«, wies Jon Satin an, »und füll den Kessel mit Öl.«
Er stieg hinunter, um die Tür zu verrammeln und sein steifes Bein ein wenig zu bewegen. Das war ein Fehler, wie Jon bald feststellte, doch er umklammerte die Krücke und hielt trotzdem durch. Die Tür des Königsturms bestand aus Eiche und war mit Eisen beschlagen. Sie würde die Thenns vielleicht eine Weile beschäftigen, sie jedoch nicht wirklich aufhalten, wenn sie ernsthaft eindringen wollten. Jon legte den Riegel in seine Halterungen, stattete dem Abtritt noch einen Besuch ab – das war vielleicht seine letzte Gelegenheit – und humpelte zurück aufs Dach, wobei er das Gesicht vor Schmerz verzog.
Der Westen hatte die Farbe eines Blutergusses angenommen, doch der Himmel darüber war kobaltblau und wurde langsam purpurn, und die Sterne kamen hervor. Jon saß zwischen zwei Zinnen, wo er lediglich eine Vogelscheuche als Gesellschaft hatte, und beobachtete den Hengst, der den Himmel hinaufgaloppierte. Oder war es der Gehörnte? Er fragte sich, wo Geist jetzt wohl sein mochte. Und auch, wo Ygritte war; dann sagte er sich, dass ihn das nur verrückt machen würde.
Sie kamen natürlich in der Nacht. Wie Diebe, dachte Jon. Wie Mörder.
Satin pisste sich in die Hose, als die Hörner erschollen, doch Jon tat, als bemerke er es nicht. »Geh und schüttel Dick an der Schulter«, befahl er dem Jungen aus Altsass, »sonst verschläft er womöglich noch den Kampf.«
»Ich habe Angst.« Satins Gesicht war leichenblass.
»Die da unten auch.« Jon lehnte seine Krücke an eine Zinne und nahm seinen Langbogen zur Hand, bog die dicke dornische Eibe durch und hängte die Sehne in die Kerben. »Verschwende keinen Pfeil, solange du nicht freies Schussfeld hast«, ermahnte er Satin, nachdem dieser Dick geweckt hatte. »Wir haben genug, aber genug bedeutet nicht unerschöpflich. Und stell dich beim Nachladen hinter die Zinne und auf keinen Fall hinter eine Vogelscheuche. Die sind aus Stroh, und jeder Pfeil geht durch sie durch.« Er gab sich keine Mühe, Dick Follard etwas zu erklären. Dick konnte von den Lippen lesen, wenn es hell genug war, und er passte auch immer genau auf, wenn man ihm etwas sagte, doch er wusste all das bereits.
Die drei nahmen im Dreieck Aufstellung auf dem runden Turm. Jon hängte sich seinen Köcher an den Gürtel und zog einen Pfeil heraus. Der Schaft war schwarz, die Federn grün. Während er ihn auflegte, erinnerte er sich an etwas, das Theon Graufreud einmal nach einer Jagd gesagt hatte. »Der Keiler hat seine Hauer und der Bär seine Krallen«, hatte er verkündet und auf seine ganz eigene Weise gelächelt. »Aber nichts ist auch nur halb so tödlich wie graue Gänsefedern.«
Jon war kein so guter Jäger gewesen wie Theon, dennoch war ihm der Umgang mit dem Langbogen nicht fremd. Dunkle Schemen schlichen um die Waffenkammer und drückten sich mit dem Rücken an den Stein, allerdings konnte er sie nicht deutlich genug sehen, um einen Pfeil zu verschwenden. Aus der Ferne hörte er Rufe und beobachtete die Bogenschützen auf dem Turm der Wachen, die Pfeile nach unten abschossen. Das war zu weit weg für Jon. Doch dann erspähte er drei Schatten fünfzig Schritte von ihm entfernt an den alten Ställen, und nun trat er an die Zinne, hob den Bogen und spannte die Sehne. Die Gestalten rannten, also folgte er ihnen mit der Pfeilspitze und wartete, wartete …
Der Pfeil zischte leise, als er sich von der Sehne löste. Einen Augenblick später hörte er ein Grunzen, und plötzlich liefen nur noch zwei Gestalten über den Hof. Dafür jedoch
umso schneller, aber Jon hatte schon den nächsten Pfeil aus dem Köcher geholt. Diesmal schoss er zu hastig und verfehlte sein Ziel. Als er den dritten Schaft aufgelegt hatte, waren die Wildlinge verschwunden. Er suchte sich ein anderes Ziel und entdeckte vier Männer, die um den ausgebrannten Bergfried des Lord Kommandanten eilten. Im Mondlicht glänzten ihre Speere und Äxte und die grausigen Abzeichen auf ihren runden Lederschilden, Schädel und Knochen, Schlangen, Bärenkrallen, verzerrte, dämonische Gesichter. Freies Volk, erkannte er. Die Thenns trugen Schilde aus gesottenem schwarzem Leder mit Rändern und Schildbuckeln aus Bronze, doch diese waren schlicht und nicht verziert. Dies hier waren die leichteren, geflochtenen Schilde der Räuber.
Jon zog die Gänsefeder bis ans Ohr, zielte und ließ los, dann legte er einen neuen
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