Das Lied von Eis und Feuer 6 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 6 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (2)
Armbrustbolzen streckte den Angreifer nieder, ehe er mit der Axt zuschlagen konnte. »Hab ich ihn«, frohlockte Satin, während Kegs zur Treppe taumelte und auf allen vieren die Stufen hinaufkroch.
Das Tor ist verloren. Donal Noye hatte es verrammelt und mit Ketten verschlossen, doch nun war es ungeschützt, die eisernen Stangen glänzten rot im Feuerschein, der kalte schwarze Tunnel dehnte sich dahinter. Niemand war zurückgeblieben,
um es zu verteidigen, denn Sicherheit gab es nur oben auf der Mauer, zweihundert Meter über dem Erdboden.
»Zu welchen Göttern betest du?«, fragte Jon Satin.
»Zu den Sieben«, antwortete der Junge aus Altsass.
»Dann bete«, sagte Jon. »Bete zu deinen neuen Göttern, und ich bete zu meinen alten.« Jetzt hieß es alles oder nichts.
Über den Ereignissen an der Falltür hatte Jon vergessen, seinen Köcher zu füllen. Er hinkte über das Dach, holte es nach und hob auch seinen Bogen auf. Der Kessel hatte sich nicht bewegt, offensichtlich hatten die Wildlinge unter ihnen vorläufig aufgegeben. Der Tanz ist weitergezogen, und wir schauen von der Galerie aus zu, dachte er, während er zu den Zinnen humpelte. Satin schoss auf die Wildlinge auf der Treppe, dann duckte er sich hinter eine Zinne und spannte seine Armbrust. Hübsch ist er vielleicht, aber er ist auch flink.
Der eigentliche Kampf spielte sich nun auf der Treppe ab. Noye hatte Männer mit Lanzen auf den untersten beiden Absätzen postiert, mit ihrer überstürzten Flucht hatten die Dorfbewohner sie allerdings ebenfalls in Panik versetzt, und so waren sie zum dritten Absatz emporgerannt. Die Thenns machten jeden nieder, der zurückfiel. Die Bogen- und Armbrustschützen auf den oberen Absätzen versuchten, über die Köpfe der eigenen Leute hinweg auf den Gegner zu schießen. Jon legte einen Pfeil auf, spannte, ließ ihn fliegen und beobachtete zufrieden, wie einer der Wildlinge die Treppe hinunterrollte. Die Hitze des Feuers ließ die Mauer weinen, die tanzenden Flammen spiegelten sich im Glanz des Eises. Die Treppe bebte unter den Füßen der Männer, die um ihr Leben liefen.
Abermals legte Jon einen Pfeil auf und schoss, doch ihm und Satin standen gut sechzig oder siebzig Thenns gegenüber, die die Stufen hinaufstürmten und im Siegestaumel jeden töteten, der ihnen in den Weg kam. Auf dem vierten Absatz standen drei Brüder in schwarzen Mänteln Schulter an Schulter mit Langschwertern in der Hand, und erneut entbrannte ein kurzes Gefecht. Doch die Verteidiger waren nur zu dritt,
rasch brandete die Wildlingsflut über sie hinweg, und ihr Blut tropfte von den Stufen. »In der Schlacht ist ein Mann niemals verwundbarer, als wenn er flieht«, hatte Lord Eddard Jon einst erklärt. »Für einen Soldaten ist ein fliehender Mann das Gleiche wie ein verwundetes Tier. Der Blutdurst wird dadurch nur noch mehr angestachelt.« Die Bogenschützen auf dem fünften Absatz flohen, ehe das Gefecht sie erreichte. Es war eine heillose Flucht, eine rote Flucht.
»Hol die Fackeln«, sagte Jon zu Satin. Vier davon lagen neben dem Feuer, die Spitzen waren mit ölgetränkten Lumpen umwickelt. Außerdem hatten sie ein Dutzend Brandpfeile. Der Junge aus Altsass hielt eine Fackel ins Feuer, bis sie hell brannte, klemmte sich die übrigen unter den Arm und brachte sie zu Jon. Wieder merkte man ihm die Angst an, und dazu hatte er auch allen Grund. Jon hatte ebenfalls Angst.
In diesem Augenblick entdeckte er Styr. Der Magnar kletterte über die Barrikade, über aufgerissene Getreidesäcke und zertrümmerte Fässer und die Leichen von Freund und Feind hinweg. Seine bronzene Schuppenrüstung schimmerte düster im Feuerschein. Der kahle, ohrlose Hurensohn hatte den Helm abgenommen, um seinen Triumph zu genießen, und lächelte. In der Hand hielt er einen langen Wehrholzspeer mit verzierter Bronzespitze. Als er das Tor sah, deutete er mit dem Speer darauf und brüllte einem Dutzend Thenns um ihn herum einen Befehl in der Alten Sprache zu. Zu spät, dachte Jon. Du hättest deine Männer über die Barrikade führen sollen, dann hättest du vielleicht einige retten können.
Oben ertönte ein Kriegshorn lang und tief. Nicht von der Spitze der Mauer, sondern vom neunten Absatz, in etwa sechzig Meter Höhe, wo Donal Noye stand.
Jon legte einen Brandpfeil auf, und Satin zündete ihn mit der Fackel an. Er trat zur Brustwehr, zog die Sehne durch, zielte und schoss. Ein Feuerband folgte dem Geschoss, das nach unten sauste und mit dumpfem Aufprall knisternd
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