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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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deiner alten Bibel gefunden.«
    Sie murmelte so leise, dass ich es kaum hören konnte: »Maria, Liebe meines Lebens, Licht meiner Augen, Sinn all meines Tuns, meine Seele!...«
    Sie konnte ihn immer noch auswendig.
    »Ich öffne den anderen Brief jetzt für dich, in Ordnung?«
    Ein schwaches Schluchzen: »Wenn du unbedingt willst, es ist ja alles doch nicht mehr zu ändern.«
    »Moment, ich lege den Hörer einen Moment beiseite.« Die Kunst, ein Handy zwischen Ohr und Schulter einzuklemmen, ohne es fallen zu lassen oder sämtliche Tasten zu drücken, hatte ich noch nie beherrscht.
    Meine Finger schafften es nicht sofort, den Umschlag zu öffnen, so sehr zitterten sie. Doch dann gab das poröse Papier widerstandslos nach, und ich konnte den elfenbeinfarbenen Bogen behutsam aus dem Umschlag schälen und auseinanderfalten. Der Wind zerrte an ihm, wollte ihn mir aus den Händen reißen und über das Geländer flattern lassen. Ich nahm das Telefon und ging hinein.
    »Also, ich lese vor:
    Maria, Du wirst immer die Liebe meines Lebens bleiben, auch jetzt, wo mein Albtraum wahr geworden ist. Die Leute reden viel, aber keiner weiß genau, was geschehen ist, doch für mich steht fest, er muss Dich gezwungen haben!
    Es war gegen Deinen Willen, ich weiß es, und unsere Herzen schlagen
noch füreinander! Komm zu mir! Wir werden von hier weggehen, auf den Kontinent, nach Rom, zu meiner Tante, wo uns keiner kennt. Meine Maria, ich wollte es Dir verschweigen, aber ich kann es nun doch nicht.
    Teresa hat mir durch einen Freund etwas für meinen Finger geschickt. Sie hat ihm gesagt, sie hätte Dich gesehen. Du sollst mit Appetit essen, und es soll Dir gut geben. Ich weiß nun nicht, was ich glauben soll. Mein Herz, in dem Du immer noch wohnst, ist unendlich schwer.«
    Ich konnte nicht weiterlesen, Tränen blockierten meinen Hals. Auch Mamma weinte, ich erkannte es an den klickenden Geräuschen, die sie mit ihrer Kehle machte. Ich schluckte, danach ging es wieder:
    »Gott schütze Dich.
    Dein Finú (der Name, der für immer nur Dir allein gehören wird) Gaetano LaMacchia«
    Gaetano war also doch Finú. Ich hatte mich durch einen vorhandenen Finger irreführen lassen. Hätte Mamma Maria diesen Brief damals erhalten, wäre sie mit ihm vermutlich doch noch sehr glücklich geworden. Der Gedanke, dass es mich und auch Leonardo dann nie gegeben hätte, kam mir in diesem Moment bedeutungslos vor. War sie noch dran?
    »Mamma?!«
    Ihre Stimme war erstaunlich fest. »Wir wären weggegangen.«
    »Bestimmt.«
    »Sag ihm, ich wäre damals mit ihm weggegangen.«
    »Gut, ich sage es ihm.«

    »Er wird dir helfen. Jetzt weiß ich endlich, dass er dir helfen wird.« Sie legte auf.
    Fast im selben Moment klopfte es. Ich lief zur Treppe, von oben sah ich, wie die Haustür sich wehrte.
    Es war Gaetano. Er blieb unten an den Stufen stehen, als wage er sich nicht herauf, und schaute mich an. Ich konnte sein Rasierwasser riechen und den Stoff seines Anzugs knistern hören. Er sah sonderbar feierlich aus.
    »Du bist also Finú.« Ich konnte nur noch flüstern. Das Haus schien ihn einzuschüchtern. Er strich mehrfach über das Revers des Sakkos, bevor er antwortete. Seine Bewegungen wirkten alt, gebrechlich.
    »Ich warte lieber draußen auf dich«, sagte er.
    Ich lief die Stufen hinab und trat hinaus. Das Meer war türkisfarben, die Wellen schlugen gluckernd unter die Steine. Gaetano kam mit schweren Schritten auf mich zu. Wir schauten uns lange in die Augen, es war mir nicht unangenehm.
    »Ich sehe so viel von Maria in dir.«
    »Wirklich?« Noch vor ein paar Tagen wäre ich über diesen Satz überhaupt nicht glücklich gewesen, jetzt war ich stolz.
    »Es ist nach all der Zeit immer noch schwer, daran zu denken«, sagte er stockend. »Wie muss sie gelitten haben, meine Mári. Und ich würde heute immer noch alles geben, um es ungeschehen zu machen. Und die Jahre danach.« Mit einer müden Geste knetete er seine Nasenwurzel, als ringe er um Fassung.
    »Aber ich lag im Bett an diesem Unglücksabend, schon geschlagene vierundzwanzig Stunden, und konnte vor Schmerzen nicht denken. Ich hatte nicht aufgepasst, diese
Rührmaschinen waren damals wirklich gefährlich. Der Dottore Carnevale, der hätte mir meinen Finger am liebsten gleich abgetrennt. Der Knochen war fast durch, der hing ja nur noch herunter. Da bin ich mit blutigen Bandagen aus seiner Praxis gerannt.« Er strich sich langsam die Bügelfalten der grauen Hosenbeine glatt und schnaubte. »Ein Freund

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