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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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einzige Fremdsprache zu beherrschen. Schnell holte ich die Tiger unter dem Sofa hervor und steckte sie in meine Handtasche. Trotz des laufenden Fernsehers hörte ich, dass irgendwer angeschlurft kam. Im nächsten Moment erschien jemand in Puschen, Pyjamahose, zerknautschtem Hemd und unrasiertem Gesicht im Rechteck der Türöffnung. Gerötete Nase, triefende Augen, die Fernbedienung wie ein unbrauchbares Stück Holz in der Hand: Gaetano. Heute Nacht hatte ich wieder und wieder über ihn nachgedacht: Konnte Gaetano der Verlobte sein? Hatte die eifersüchtige Teresa ihre
Freundin absichtlich in die Falle laufen lassen, um ihn zu bekommen? Zutrauen würde ich es ihr! Doch auch wenn es so gewesen wäre, wie wurde aus einem Gaetano ein Finú? In Sizilien verstümmelte man die Namen zwar gerne, alles wurde abgekürzt, aus Giuseppina wurde Pina, aus Antonio Nino, aus Salvatore Totó, Turi oder sogar Turiddu. Auch meine Mamma Maria war von ihrer Tante liebevoll Mariuccia genannt worden. Aber Gaetano - Finú? Aus einem Gaetano machten sie hier höchstens einen Tanino. Und wenn er es sein sollte, musste dem ehemaligen Verlobten meiner Mutter dann nicht auch der kleine Finger fehlen?
    »Sie sind nicht da.«
    »Wo ist Matilde? Wo ist Teresa mit ihr? Geht es ihr gut? Isst sie, redet sie?«
    Es klang noch flehentlicher, als ich befürchtet hatte. Er machte eine hilflose Bewegung mit der Hand. Ich starrte auf seine Finger und versuchte, etwas zu entdecken, was ich beim letzten Mal vielleicht übersehen haben könnte. Nach der linken Hand nahm ich mir die Rechte vor. Zehn Finger... er konnte es nicht sein.
    Er merkte es und versteckte seine Hände mitsamt der Fernbedienung vor mir auf dem Rücken.
    »Kennst du einen Finú?« Er schaute mich aus blutunterlaufenen Augen von unten an und drückte auf der Fernbedienung herum. Der Ton wurde noch lauter. »Maria hat ihn sehr geliebt, diesen Finú«, rief ich gegen den Fernseher an. »Sie hat sich für das, was passiert war, bis in ihre tiefste Seele hinein geschämt, obwohl sie keine Schuld traf. Maria hat gehofft, dass ihr Verlobter Finú zu ihr kommt, dass er ihr verzeiht, wenn man es so nennen will, und dass er ihre Entführung rächen würde.«

    Gaetano starrte zu Boden. Ich schrie jetzt fast: »Aber er kam nicht!« Endlich hatte Gaetano auf der Fernbedienung den richtigen Knopf gefunden. Ich flüsterte in die entstandene Stille: »Marias Freundin hat ihr von dem Verlobten erzählt. Es waren Lügengeschichten, die nach Marias Willen auch noch ihr Herz gebrochen haben. Ich bin nicht sicher, was sie noch alles getan hat.« Ich wurde wieder lauter: »Aber ich schwöre beim Tod von Leonardo und Grazia, ich werde nicht zulassen, dass Matilde bei dieser Frau aufwächst!«
    Ich ging zur Tür und drehte mich zu ihm.
    »Deine Tochter hat gemeinsam mit meinem Bruder bestimmt, dass Matilde bei mir leben soll. Ich werde einen Antrag beim Jugendamt stellen. Es wird lange dauern, aber ich bin bereit zu kämpfen. Heute am späten Nachmittag werde ich im Casa dei Limoni sein.« Ich wollte ihm Zeit geben, vielleicht konnte er in der Zwischenzeit mit Teresa reden. Ich wusste nicht, ob das sinnvoll war. Versuchen musste ich es.
    »Ich werde die restlichen Sachen der beiden ordnen.«
    Seine Augen zuckten unruhig. Er wusste, dass es im Haus nichts mehr zu ordnen gab.
    »Dort, wo du immer die Torten vor die Tür gelegt hast, da bin ich so gegen fünf.«
    Er schüttelte mit schmerzlich verzerrtem Gesicht den Kopf. Ich seufzte. Susa musste das Einsatzkommando nicht herbeirufen, doch ein richtiger Erfolg war mein Besuch hier auch nicht gewesen. Ich drehte mich um und ging langsam aus der Wohnung.

Kapitel 35
    PHIL
    Ich ging logisch vor. Zunächst kaufte ich an einem Zeitungsstand einen Stadtplan und stellte eine Liste aller Orte auf, an denen Lella sich aufhalten konnte. An erster Stelle stand die Kanzlei, die ich trotz der Regellosigkeit der Straßenführung nach kurzer Zeit wiederfand. Obwohl ich nicht ernsthaft damit gerechnet hatte, zog sich etwas in mir zusammen, als ich sah, dass die beiden Treppenstufen vor der Eingangstür leer waren. Eine abwegige Hoffnung, die ich da gehegt hatte. Lella war keine Frau, die ihre Zeit morgens um neun vor irgendwelchen Türen zubrachte.
    Ernüchtert betrachtete ich das goldene Schild, das an der Tür angebracht war: »Dott. Rocco Acquabollente - Avvocato / Notaio«. Rocco - ›kochendes Wasser‹ - für mich klang das wie der Name eines streitsüchtigen Preisboxers.

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