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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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schloss die Klappe und drehte sich ganz zu mir um. Als ich nach dem Besitzer fragte, wischte sich der Junge die Hände an seiner erstaunlich sauberen Bäckerjacke ab. Er war vielleicht gerade siebzehn und trug eine Duschhaube aus Papier auf seinen schwarzen Locken.

    Gaetano war nicht da. Ich seufzte vor Enttäuschung. Wann er denn wiederkommen würde?
    »É in ferie.« Er war im Urlaub.
    »E la Signora?«
    »La Signora?«
    »Si, sua moglie, Teresa!«
    Er verzog sein Gesicht, um gleich wieder freundlich zu grinsen. Nein, die wäre doch nie in der Bäckerei. Die wären alle im Urlaub oder zu Hause, das wüsste er nun auch nicht so genau. Er schnappte sich ein weiteres Blech und sang mit einstudiertem Seitenblick zu mir: »Io lavoro - e penso a te ... !«
    Zurück auf der Straße rief ich Susa an und schilderte ihr kurz, was ich herausgefunden hatte.
    »Dein Vater!? Das ist heftig... Der Gedanke daran ist richtig fürchterlich! Jetzt kann ich es dir ja sagen, aber ich mochte den noch nie!«
    »Ich versuche, so wenig wie möglich daran zu denken. Ich muss Matilde wiederbekommen, ach, zwischendurch denke ich, es ist alles total aussichtslos, Susa!«
    »Wo hast du sie denn schon gesucht?«
    »Ich werde Mätti nie finden.«
    »Ach nee, meine kleine Itakerin, so geht das nicht! Da hast du dir die unpassendste Zeit ausgesucht, um aufzugeben. Gerade jetzt musst du noch mal alle deine Kräfte zusammenkratzen! Du schaffst das! Wenn nicht du, wer dann? Ruf mich an, wenn du mich brauchst, jetzt muss ich los!« Ein paar schmatzende Küsschen erreichten mein Ohr, sie legte auf.
    Wenn nicht du, wer dann? Was für ein toller Spruch. Danke, Susa.

    Ich kann da nicht hineingehen!, dachte ich, als ich vor dem Hochhaus stand. Hinter den Fenstern und all den feindseligen, menschenleeren Balkonen lauerte irgendwo Teresa. Ich wollte wegrennen, so schnell wie möglich, doch dann dachte ich an Susa und entschied, es wenigstens zu probieren. Und wenn ich nur bis ins Treppenhaus kam und es gerade mal schaffte, Matildes helle, zwitschernde Stimme durch die Wohnungstür zu hören. Ich wählte noch einmal Susas Nummer und beauftragte sie, mich in einer Stunde zurückzurufen. Sollte ich nicht antworten, müsste sie die Polizei rufen.
    »Polizei. In Sizilien. Badscheria. Mache ich.«
    »Bagheria, mit ›gh‹ geschrieben«, verbesserte ich sie. Ich liebte ihre mühelose Art, Probleme anzugehen, und gab ihr die genaue Adresse. »Bei LaMacchia, vierter Stock.«
    »Also gut. Uhrenvergleich: Jetzt ist es Viertel nach neun. Ich ruf dich exakt um zehn Uhr fünfzehn wieder an. Sei vorsichtig!«
    In diesem Moment kam ein ungefähr zehnjähriger Junge aus dem Haus, an seiner Seite ein großer Hund mit kahlen Stellen im gelblichen Fell. Vermutlich war er für die zahlreichen auf dem Vorplatz platzierten Hundehaufen verantwortlich. Ich küsste Susa durchs Telefon und schlüpfte durch die offene Tür hinein. Im Fahrstuhl presste ich meine Handflächen fest wie eine betende Tempeltänzerin zusammen. Konzentration, Ruhe, alles würde sich fügen.
    Die Wohnungstür der LaMacchias war nur angelehnt. Ich lauschte. In Filmen bedeuteten angelehnte Türen immer mindestens einen Toten in der Wohnung. Stille.
    »Permesso?«, flüsterte ich und klopfte zaghaft. Nein, keiner gab mir die »Erlaubnis«.

    Ich schob die Tür vorsichtig auf und spürte, wie meine Nackenhaare sich aufstellten.
    »Sogni d’oro!«, donnerte eine samtige Stimme plötzlich derart laut, dass ich zurücksprang.
    Dio! Ich atmete tief durch. Mit ihrer Wachsamkeit war es nicht weit her, wenn sie die Tür offen ließen und im salotto TV-Werbung für den Schlaftee »Goldene Träume« einschalteten. Das konnte nur heißen, dass Matilde nicht in der Wohnung war. Ich hörte weder die Stimme von Teresa noch etwas von ihren Söhnen. Ich schaffte es weiterzugehen, vielleicht war Gaetano allein. Im salotto waren alle Vorhänge zugezogen. Unter dem mit Goldschnörkeln verzierten Sofa erspähte ich Matildes Plastiktiger. Ich ballte nervös die Fäuste. Sie war hier gewesen! Ich ging durch die dämmrige Dunkelheit auf den Fernseher zu und schaute nach der Fernbedienung, um ihn leiser zu stellen. Keine Fernbedienung zu sehen. Ich war verrückt. Doch was sollten sie schon mit mir machen? Mich schlagen? Gefangen halten? Wenn Susa mich in einer Stunde nicht erreichte, würde sie ein Sondereinsatzkommando in die Wohnung schicken. Ich kicherte nervös. Meine allerbeste Freundin war zu allem in der Lage, ohne eine

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