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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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ein Adler durchstoßen hatte, an die Hand nehmen. Feierlich und entschlossen, wie es nur eine Vierjährige konnte, schritt sie auf den Leichenwagen zu, der den Sarg ihrer Mutter im Schritttempo vorbeilenkte.
    Ich sah ihr nach, starrte auf Teresas Haarknoten, der zufrieden wippte. Wenn ich nicht das Richtige tat, würde ich Matilde nie wieder sehen, ich würde nur zuschauen können, wie sie aus meinem Leben trippelte und verschwunden
bliebe. Ich musste also auf jeden Fall das Richtige tun, hatte aber noch keine konkrete Vorstellung, was das sein könnte. Es hatte aber mit Phil zu tun, dessen war ich mir sicher. Langsam ging ich zu der wartenden Gestalt hinter dem Taxi.

Kapitel 7
    PHIL
    Am liebsten würde sie rennen, dachte ich, als ich ihren beherrschten Gang sah. Sie flieht vor diesen Leuten, und nur der Anstand bewahrt sie davor, noch schneller zu gehen.
    Das kleine Mädchen, mit dem sie an der Bank gesprochen hatte, drehte sich noch einmal zu ihr und winkte.
    Schade, sie sieht es nicht, dachte ich, aber in derselben Sekunde wandte Lella sich zu der Kleinen um und schickte ihr einen Kuss durch die Luft. Keinen von diesen geworfenen Handküssen, sondern einen ganz langsamen, mit dem Mund, das konnte ich von der Seite sehen. Es sah nach einem Versprechen aus, das zusammen mit dem Kuss wie eine Seifenblase hinüberschwebte und von dem Mädchen hüpfend, als ob sie einen Schmetterling mit dem Netz erwischen wollte, aufgefangen wurde. Dann nahm die schwarze Lady Madonna die Schultern zurück, strich eine Strähne ihrer langen Haare aus dem Gesicht und kam auf mich zu.
    »Hallo.« Sie klang atemlos.
    »Bitte entschuldigen Sie.« Meine Güte, wir sind doch per du, schoss es mir durch den Kopf. Ich begann noch einmal: »Äh, es tut mir leid, ich wollte dich nicht stören, bei... dabei«, ich machte eine unnötige Handbewegung und schloss
die Menschenmenge, den Kirchplatz und das schöne Wetter mit ein.
    »Aber diese Tasche hier, also... das ist nicht meine.«
    Ich hielt ihr die schwarz-rot gestreifte Schultertasche entgegen, die alte Fototasche, die mir nicht gehörte.
    »Du hast meine Tasche?«, wiederholte sie mit erstaunt aufgerissenen Augen, die etwas gerötet waren. »Habe ich die etwa am Flughafen liegen lassen? Dio, das ist mir noch nicht mal aufgefallen. Wie hast du mich gefunden?«
    Ich zeigte auf Mario Nr. 2865, der seine lederne Mütze in der Hand drehte und damit auf die nahe Mauer deutete, an der eine einzelne Todesanzeige klebte. »Grazia LaMacchia« war neben zwei grünlich gefärbten, betenden Händen zu lesen. Ich zuckte mit den Schultern, aber der Taxifahrer wusste offensichtlich, wen er vor sich hatte, oder er besaß ein gutes Namensgedächtnis. Signorina Bellone nannte er sie, drückte ihre Hand, senkte den Kopf, presste seine Mütze dramatisch an die Brust und nuschelte etwas auf Sizilianisch, was sicherlich »Mein aufrichtigstes Beileid« oder Ähnliches bedeutete. Mir fiel ein, dass ich auch kondolieren sollte, aber sie konnte mich nicht hören, denn mein dicker, unrasierter Fahrerfreund redete auf sie ein. Er sagte scusi und zeigte auf die Kirche, um sich schon vorab für die etwas unpassenden Umstände der Erzählung zu entschuldigen. Denn nun beschrieben seine Hände eine Verfolgungsjagd, er lachte, wie im »Tschienema«, ja, wie im Kino, es hatte ihm Spaß gemacht, dass da endlich mal einer zu ihm in den Wagen sprang und »Follo se taxi!« schrie. Lady Madonna antwortete ebenfalls in der Nuschelsprache. Sie zeigte auf die Kirche und bat ihn um irgendwas. »Grazie«, sagte sie, und ein dankbares Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Der Fahrer bahnte
sich einen Weg durch die Menschen und verschwand in der Menge. »Mein Beileid.« Wer die Tote wohl war? »Grazia LaMacchia« klang in meinen Ohren über achtzigjährig, zart und altersknochig, wahrscheinlich ihre Oma oder eine Erbtante mit einem hellwachen, würdevollen Vogelgesicht. Lella nickte nur und guckte angestrengt auf die Straße vor ihre hochhackigen Schuhe. Hoffentlich weinte sie nicht! Ich wusste nicht, wie man weinende Frauen tröstete.
    Hätte ich nicht einen besseren Spruch finden können, etwas, was sich wenigstens ein bisschen mehr nach Mitgefühl anhörte? »Gesu é onnipotente « hatte jemand an die Mauer des Hauses gegenüber gepinselt. Die blaue Farbe war zu flüssig gewesen und in langen Tränenbächen nach unten gelaufen. Ich konnte mir denken, was derjenige, der das geschrieben hatte, meinte, es kam mir dennoch zweideutig, um

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