Das Limonenhaus
herzurichten. So schön wie vor den Tränen sah sie aber nicht mehr aus.
Gegen alle Vernunft hatte mein Bruder also nach der Mittagsmesse das Mädchen mit dem schwermütigen Schneewittchengesicht in der Chiesa della Pietä geheiratet. Außer mir und dem Pastor waren nur die alltäglichen in Schwarz gekleideten Frauen mit ihren Einkaufsnetzen dabei. Als die beiden aus der Kirche kamen, habe ich Blütenblätter geworfen und ein paar Bilder gemacht. Eins davon bewahrte ich noch immer in meinem Portemonnaie auf. Grazia trägt darauf einen cremeweißen, eleganten Hosenanzug, ihre
schwarzen Haare sind am Hinterkopf zu einem wunderbar altmodischen Knoten zusammengeschlagen, und ihr Mund ist kirschrot. Das steht ihr gut. Sie hält Rosen mit tennisballgroßen Blüten in der Farbe ihres Anzugs in der Hand - weiße Rosen, ausgerechnet meine Lieblingsblumen. Leonardo blinzelt neben ihr in die Sonne. Gleich wird er das Jackett ausziehen, die Ärmel seines Hemdes hochkrempeln und das Auto anschieben, das sich sein neuer Freund, Claudio, der Sohn des Notars, geborgt hatte, um uns abzuholen. Grazia und Leonardo halten sich an beiden Händen fest, und diese Pose sieht nicht so albern aus wie die auf den anderen Hochzeitsfotos, die in grauenhafter Öffentlichkeit überall in Sizilien in den Kästen der zahlreichen Fotogeschäfte hängen. Eine Hand genügt ihnen nicht, sie klammern sich hinter den Rosen aneinander, als könnten sie nur so sämtlichen Verwünschungen, Enterbungen und Anfeindungen ihrer Familien standhalten.
Was ist nun mit Matilde ?, meldete sich plötzlich Leonardos Stimme.
Natürlich würde ich es für dich tun, Leonardo, flüsterte ich tonlos. Für dich und für Grazia! Aber ich weiß einfach nicht, wie. Sag du es mir!
Ich hatte Leonardo versprochen, mich um Matilde zu kümmern, aber wie sollte ich sie aus dieser Gift sprühenden Familie herausholen? Wie stellte er sich das vor? In der rechten Hand schwenke ich den Hasenkoffer, mit der linken führe ich Matilde aus der Wohnung? Vorbei an Teresas bösen Blicken, Gaetanos hilflosen Gesten und den Mündungen der Pistolen, die die drei Brüder in den Innentaschen ihrer Anzugjacken selbstverständlich mit sich trugen?
Auf der anderen Seite des Ganges konnte ich mein Patenkind auf der Bank zappeln sehen. Ich sah auch Teresas altersfleckige Hand, die wie eine Kralle auf Matildes Oberschenkel ruhte.
»Vater unser, der du bist im Himmel«, begann ich zusammen mit der Trauergemeinde, »geheiligt werde dein Name...« Ich stockte. »... wie im Himmel so auf Erden«, versuchte ich dann den Anschluss an die murmelnde Schar zu erwischen.
»Lella!« Matilde war der Umklammerung von nonna Teresa offenbar entkommen. Sie drückte sich neben mich auf die Bank, packte meine Hand und zog sie in die Höhe, denn nun wedelte der Priester mit seinem Weihrauchfässchen herum und zwang die Trauergesellschaft zur gemeinsamen Fürbitte auf die Beine.
Ich strich dem Mädchen über die gehäkelte dunkelblaue Mütze. Warum setzten sie ihr überhaupt so ein dummes Mützchen auf? Matilde zuckte und schaute mich streng von unten an. Beten!, hieß das, nicht streicheln!
Ich faltete die Hände und verbrachte erholsame Minuten, ohne an irgendetwas zu denken. Danach durften wir uns alle wieder auf die dunkle Holzbank setzen. Der Pfarrer sagte vermutlich ein paar Worte, die ich nicht wahrnahm, und die Trauergemeinde schlug das Kreuzzeichen. Unaufgefordert führte das Kind neben mir die Bewegungen aus, genau darauf achtend, dass auch ich alles richtig machte.
Schon war die Ruhe im Sitzen vorbei, und wir mussten alle wieder knien. Das Gesicht in den Händen verborgen, gelang es mir erneut, die Worte des Gebets an mir vorbeiplätschern zu lassen.
Ach, Matilde, was mache ich bloß mit dir, du kleines zartes
Äffchen? Du bist so brav, dein Lächeln ist so artig, dass es mir in der Kehle wehtut.
Hol sie her, hatte Susa am Telefon gesagt. Hol sie her! Und dann? Die Familie LaMacchia würde mir nie erlauben, Matilde mit nach Köln zu nehmen. Aber wohin sollte ich dort auch mit ihr, zu Susanna? Könnte ich es wagen, sie mit zu meinem Vater zu nehmen? Mamma bekäme vor Schreck einen Erstickungsanfall, sie würde sterben, und ich hätte Schuld. Ich drückte das kleine Mädchen an mich und strich über den dicken Wollstoff an ihrem Rücken. Was für ein hässliches Kleid Teresa ihr da angezogen hatte. Ich senkte meinen Kopf wieder, bekam die letzten Worte des Gebetes mit: »Gebenedeit seiest du, Maria.
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