Das Limonenhaus
Lella.
»Aah! Santa Maria Santinella Bellone! Die große schöne kleine Heilige«, sagte ich viel zu laut.
»Gut gesagt«, antwortete sie leise, aber ohne ein Lächeln. Herrje, war ich peinlich.
»Wenn ich dir sonst mit irgendwas helfen kann, Geld oder so... Es tut mir leid, dass das passiert ist.« Sie war traurig - warum war diese schöne, zierliche, schwarze Frau so verdammt traurig? Klar, die Beerdigung ihrer Oma, ach nein, ihrer... Wer war das gleich doch gewesen? Egal, aber sie sollte lachen. Vergiss die Tasche!, wollte ich ihr sagen, stattdessen starrte ich sie an. Gott, war sie schön, und ich betrunken.
»Signorina! Eccolo!«
Immer sagten diese Italiener eccolo zu irgendwas. Ich drehte mich und rempelte den unbekannten Taxifahrer fast um. Er hatte sie, er hielt meine Fototasche wie ein Baby im Arm! Schnell nahm ich sie an mich. »Grazie! Amico! Due Campari«, orderte ich beim Barmann und klopfte dem Fahrer dabei auf die Schulter. In diesem Moment klimperte Mozarts Kleine Nachtmusik blechern aus meinem Handy. Mein »Hallo?« klang so entsetzt, dass sich mir alle Anwesenden interessiert zuwandten. Ein leises, beißendes »Phil, wo bist du?« von Brigida. Es war das erste Mal, dass sie mich im Ausland anrief.
»Tja, wo bin ich wohl? Ich bin in Palermo... nein, in einer Bar... Das Hotel? Das Hotel ist soweit in Ordnung, glaube ich, also ich habe es noch nicht gesehen, heißt das...«
Ihre Stimme war so laut! Lella sollte meine Antworten
nicht hören. Ich entfernte mich, lief ein Stück durch den leeren Raum und versuchte, eine stille Ecke zu finden.
»Nein, reg dich doch nicht auf!« Die Akustik der Bar war hervorragend, jedes meiner gedämpften Worte war für Lella und alle anderen sicherlich bestens zu verstehen.
»... ich sag doch, alles in Ordnung. Der Termin? Okay, nein, alles gut... nein... ja, natürlich kann ich reden. Ich kann dich am Telefon auch amore nennen. Vor den anderen Frauen? Was für andere Frauen? Hier gibt es keine Frauen.« Brigida hatte alles in ihrem Leben im Griff, bis auf ihre Eifersucht; sie machte sie verletzbar und das ärgerte sie. Ich sah, wie Lella Mario einen Fünfzig-Euro-Schein in die Hand legte, Mario ihn zweimal ablehnte, dann schließlich beiläufig nahm und ihr sein Kärtchen hinhielt. Ich beugte mich vor, um besser sehen zu können. Lella steckte es ein, und beide guckten zu mir hinüber und redeten. Schnell schaute ich weg und sofort wieder hin. Lella bedankte sich mit Handschlag, und Mario griff zu und schaffte es, ihre Hand mindestens fünfzehn Sekunden in seinen beiden Pratzen gefangen zu halten. Aha, so ging das hier, kein fidanzato in Sicht, das nutzte der alte Bock natürlich aus!
Brigida beschwerte sich, dass Signor Pappalardo mich nicht hatte erreichen können. Der Termin für heute Nachmittag sei abgesagt worden.
»Das ist dein Auftrag, Phil, du musst erreichbar sein!«
Lella winkte mir kurz zu, zeigte dann auf ihre Armbanduhr und zuckte entschuldigend die Achseln. »Bleib doch, einen Augenblick mal«, versuchte ich ihr mit meiner freien Hand zu signalisieren, aber da wandte sie mir schon den Rücken zu.
»Amore«, stotterte ich und blickte Lella nach, die Sekunden
später vor dem Fenster erschien und ihren Koffer von Mario gereicht bekam. »Ich gehe jetzt in mein Hotel, ich ruf dich heute Abend noch mal an.« Die Lady Madonna ging einfach davon, Santa Maria Santinella Bellone, die große schöne kleine Heilige. Ich spürte ein heftiges Verlangen, meinen Koffer aus dem Taxi zu holen und mit Lella schweigend durch die Straßen zu wandern. Zum Teufel mit den Villen-Fotos und der Agentur, der Galerie und dem ganzen Mist! Nüchtern wäre ich nie auf so eine Idee gekommen.
»Gut gesagt«, wiederholte ich leise, so wie Lella es betont hatte.
»Was? Oh, mein Gott, Phil, red doch mal lauter!«, rief Brigida aus ungefähr zweitausend Kilometer Entfernung durch das Handy.
»Nichts.« Meine Augen verfolgten Lella, die mit ihrem Koffer langsam die Straße hinuntermarschierte, an einem Bauzaun entlang, bis ich sie nicht mehr sehen konnte. Wie ein Anrufbeantworter, den man wochenlang nicht abgehört hat, spulte Brigida eine Nachricht nach der anderen ab. Es handelte sich um Begebenheiten, die sich heute Vormittag in der Galerie zugetragen hatten, mit Personen, an die ich mich seltsamerweise kaum erinnern konnte. Endlich legte sie auf. Ich stand alleine am Tresen der Bar, so allein, dass ich mich festhalten musste. Durch das flauschige Gefühl, das der Campari
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