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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Sargdeckel schließt sich.
    Dann riecht es nach Käse. Ein etwas zu starker, säuerlicher Käsegeruch. Leuchtstoffröhren werden eingeschaltet. Ein schmutzigweißes Licht, faltige Laken, eine Trainingsanzugshose auf die Schenkel heruntergeschoben. Ich liege da und warte auf etwas, eine Krankenhausuhr schiebt ihren knackenden Zeiger jede Minute ein Stück weiter. Holzschuhe auf Linoleum, klapp, klapp. Und herein kommt ein Frauenzimmer, das aussieht wie Hermann Göring. Auf ihrem Flanellkittel steht »Landrat«. Sie zieht ihn aus, ihr Körper riecht nach Pferd, zwischen ihren alten, ausgelutschten Hängebrüsten sind Unmengen von Pickeln zu sehen.
    »Polnisch oder serbokroatisch?«, hustet sie hervor und spuckt Flanellfusseln auf den Boden.
    »Was ist serbokroatisch?«
    »Das kostet extra, scheiße, ich hab ‘nen Popel in der Nase.«
    Sie pult mit dem kleinen Finger im Nasenloch herum und zieht einen gestreiften Gelatineklumpen hervor. Ihr Halstuch ist grau vor altem Dreck. Irritiert kratzt sie sich im Schritt, so dass dort irgendwo der Klumpen fest klebt.
    »Ich glaube, ich verzichte«, murmle ich.
    Doch ich kann meine Zunge kaum bewegen, ich liege in einer wachsartigen Lähmung dort.
    Gleichgültig setzt sie sich auf mich, ein Gefühl, als parke ein Lastwagen auf mir. Und nun beginnt ein schrecklich lang gezogener Beischlaf. Es geht so langsam, dass man sich fragt, ob überhaupt etwas stattfindet, und die ganze Zeit furzt die Alte. Ein stinkender Nebel umgibt uns, und irgendetwas tropft auf meine Schenkel. Jetzt stellt sich ein Spanner in die Tür, ein glatzköpfiger, nackter Kerl, der herüberschielt, während er so tut, als läse er »Die Welt der Technik«, sich dabei aber langsam, ganz langsam einen mit einem Handgasgriff runterholt. Und dann kommt auch noch ein Schwuler auf einem Scooter hereingefahren. Er ist Same und fängt an zu joiken, wie geil er doch nach fünf Tagen in der Rentierhirtenhütte ist. Der Schwule zieht sich seinen dreckigen Motorradoverall aus und versucht sich an den fetten Kerl heranzumachen, doch sein Schwanz ist so schlaff, dass er durch den Furznebel nicht durchkommt. Und dann erscheint ein dickes Saunaweib und schreit, das Essen sei fertig, das Essen sei fertig, und alle fangen an süßsaure Schweineleber zu mampfen, und ich versuche verzweifelt wegzulaufen, doch alles ist wie der reine Sirup, und mitten in dem ganzen Durcheinander steht ein verkaterter Regisseur und dreht einen Pornofilm über das ganze Elend, den er an irgendwelche nichts Böses ahnenden Postorderkäufer im nördlichen Finnland verkaufen will.
    Und so ging es weiter. Anderthalb Jahre lang. Ratet mal, ob ich mich gefreut habe, als sie mich geweckt haben.
    Den Forschern war es wie gesagt vollkommen unerklärlich. Nicht das Pornografische in erster Linie, sondern die Tatsache, dass man überhaupt träumte. Wenn die Gehirntätigkeit faktisch auf Null ist, was ja der Fall war, dann sollte man überhaupt nichts erleben. Dann sollte es da drinnen abgestellt und eiskalt sein.
    Bald wurde in Kopenhagen ein Kongress mit den berühmtesten Neurologen und Psychiatern der Welt abgehalten. Sie hatten unzählige Erklärungen für die Träume. Die Professoren baten einer nach dem anderen ums Wort und redeten hochnäsig über Neuronalität, Hypnagogische Paraaktivität, Orthocerebrales ESP und Ähnliches.
    Schließlich stand eine alte, magere, estnische Neurologin auf, eine krummgebeugte Matrone mit riesigem Haardutt, den westlästadianischen Gebetsstundenteilnehmern nicht unähnlich, bereit zu beichten, und mit zitternder Stimme erklärte sie, dass alle diese Termini unnötig seien. Sie würden nicht gebraucht, weil für all das bereits in allen ihr bekannten Sprachen ein Wort existierte. Und dieses Wort war: Seele.
    Ein Schauer ging durch das Auditorium. Der Kongress wurde auf Grund empörter Tumulte aufgelöst, ohne dass irgendeine Art von Schlussdokument unterzeichnet worden wäre. Aber alle wussten insgeheim, dass sie Recht hatte.
    So war es also mit Hilfe von Sexträumen möglich, die Existenz der Seele zu beweisen. Es war die Seele, die verblieb, wenn das logische Denken aufhörte und das Gehirn in eine tiefgefrorene Frikadelle verwandelt wurde. Dann blieb die Seele zurück und stampfte in der Kälte von einem Bein aufs andere, arbeitslos und uninteressiert, ja, schlicht und einfach überflüssig. Keine Moralfragen, um sich zu engagieren, keine Gewissenskonflikte, keine Todesangst, die Einsatz verlangte. Und den Körper

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