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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Frage, woher diese Wendung vom Pech zum Glück kam. Was war es, was alle Kurts mit solcher Kraft verscheucht hatte? Hatte es vielleicht etwas mit seinem Lebensstil zu tun, mit seinem Zusammenbruch selbst?
    Emanuel dachte darüber mehr als einen Monat lang intensiv nach. Sein Arbeitseifer wuchs, er schrieb Entwürfe, analysierte, suchte nach Mustern.
    Da erklärte plötzlich die wunderschöne Pianistin, dass sie seiner überdrüssig geworden sei, woraufhin sie nach Bayreuth zu ihrem verlassenen Ehemann zurückkehrte. Den Schmuck nahm sie mit. An diesem Abend saß Emanuel schwermütig auf dem Sofa und spürte ein schmerzhaftes Kneifen im Po, was ihn dazu brachte, das böhmische Kristallglas umzukippen und das dunkelbraune englische Ledersofa mit Wein aus dem Medoc zu beflecken. Es stellte sich heraus, dass das Kneifen von einem Füllfederhalter kam, der in seiner Gesäßtasche gesteckt hatte, und die Tinte, die auslief, verdarb seinen eleganten, teuren Zagalloanzug.
    Die Einsicht traf ihn wie ein Keulenhieb, als er in Unterhosen dabei war, die Weinflecken vom Sofa zu wischen.
    Die Kurts waren zurück.
    Ich habe es gewusst, dachte Emanuel verbittert und ging in die Stadt in die nächstbeste Kneipe, um Bier zu trinken. Eine Woche lang lebte er in Saus und Braus, verpasste seine vereinbarten Vorlesungen und Reisen und versetzte alle Organisatoren, die vergeblich versuchten, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Als die Woche vergangen war, hatte die Pianistin angerufen, sie wolle reuevoll zurückkehren. Vom Forschungsrat bekam er ein fettes Forschungsstipendium, von dem er gar nicht mehr wusste, dass er sich darum beworben hatte. Der Reinigung gelang es, die Tintenflecken mit einem neuen koreanischen Lösungsmittel zu entfernen, und der Anzug sah wieder aus wie neu.
    Die Kurts hatten sich davongemacht.
    Und da wurde es ihm klar. Natürlich! Es ging ums Mentale. Die Kurts wurden von etwas Speziellem in der Gehirntätigkeit angezogen, einem Zustand, einer ganz besonderen Kombination der winzigen elektrischen Signale des Gehirns, einem Synapsenmuster, das die Kurts attraktiver fanden als die Ameisen Zucker.
    Das Synapsenmuster war das, was allgemein Ehrgeiz genannt wird. Karrieregeilheit. Scheißwichtigtuerei. Diese aufgeblasene Attitüde, dass man jemand wäre, dass man Talent hätte, dass man den Nullen einmal zeigen wollte, was für ein Genie man war! Und schwups waren die Kurts da, wie kleine schwarze Viren, sie kamen in Scharen herbeigesaust und klammerten sich an ihr Opfer, bis es früher oder später zu Grunde ging.
    Im folgenden halben fahr widmete sich Emanuel dem Studium dieser Hypothese, und hin und wieder hatte er gewaltige Schwierigkeiten, die Kurts von sich fern zu halten. Er wusste, dass er etwas Großartigem auf der Spur war. Der Antwort auf das menschliche Pech. Der Erklärung, warum bestimmte Menschen härter als andere befallen werden, warum das Butterbrot meistens mit der bestrichenen Seite nach unten landet. Hier handelte es sich nicht um Zufall, oh nein. Es lag am eigenen Hochmut.
    Wenn die Kurts besonders aufdringlich waren, versuchte Emanuel sie mit zeitweiliger Meditation zu verscheuchen. Ich weiß, ich bin nicht der Beste auf der Welt, versuchte er zu denken. Meine Forschung ist nur eine von vielen. Ich versuche mich nicht als etwas Besonderes herauszustellen, ich glaube nicht, dass ich etwas Besonderes bin.
    Und das schien tatsächlich zu helfen. Das Pech konnte zwar ab und zu noch auftauchen, aber nur stoßweise. Die Meditation wurde zu einem Ritual, einem regelrechten Gebet, das er herunterleierte, wenn er sich allzu anmaßend fühlte. Und dann machten sich die Kurts, die sich gerade gesammelt hatten, um eine Pechattacke zu starten, plötzlich Hals über Kopf von dannen. Der Tag war gerettet, die Balance wiederhergestellt.
    Einige Zeit später stieß er zufällig auf ein ähnliches Gebet. Nur viel besser formuliert. Ein dänischnorwegischer Autor hatte es bereits 1933 aufgestellt, Aksel Sandemose. Und das Gedicht hieß »Janteloven«, der Kleinbürgerkodex.
    Bilde dir bloß nicht ein, dass du was bist. Bilde dir bloß nicht ein, dass du klüger bist als wir. Bilde dir bloß nicht…
    Der Kleinbürgerkodex erwies sich als das Schlimmste, was sich die Kurts vorstellen konnten. Emanuel fügte ihn in seine Abhandlung ein. Er nahm nie mit irgendeiner Universität wegen einer Promotion Kontakt auf, stellte seine Arbeit einfach auf seine Homepage. Als Verfasser gab er nicht sich selbst, sondern das Pseudonym

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