Das Loch in der Schwarte
kleine Planeten einen riesigen Brocken aus Kohlensäureeis. Wir sollten also in eine eiskalte, finstere Welt reisen, garantiert ohne irgendwelche Lebensformen, die uns Schwierigkeiten machen konnten.
Ich hätte schon von Anfang an wissen müssen, dass die ganze Sache ein tot geborenes Kind war. Das Projekt wurde von Schreibtischyuppies gesteuert, die nur den Gewinn maximieren wollten, bevor die Konjunktur fallen würde. Natürlich gingen sie Konkurs, noch bevor wir zurückkamen, und von unseren Löhnen oder Provisionen sahen wir nicht einen blassen Schimmer. Und die Sache wurde nicht besser, als sich herausstellte, dass dieser Eisplanet mit Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von kleinen, unerträglichen, auf Heliumbasis funktionierenden Lebensformen bewohnt war, die es gelernt hatten, die äußerst schwache kosmische Einstrahlung fürs eigene Überleben auszunutzen. Sobald sich irgendetwas Warmes wie beispielsweise wir Astronauten ihnen näherte, kamen sie wie kleine Eiszapfen herangerobbt und errichteten in Windeseile um uns herum Eisberge, durch die wir erst nach stundenlanger Mühe mit der Hacke hindurchfanden.
Wie dem auch sei, die Reise dorthin sollte eineinhalb Jahre dauern, und wir konnten uns aussuchen, ob wir uns einfrieren lassen oder Videofilme glotzen wollten. Ich entschied mich fürs Erstere, einerseits, weil ich neugierig war, ich hatte es noch nie zuvor ausprobiert, aber auch weil die Gesellschaft allen, die sich einfrieren ließen, eine Sonderprämie versprach, weil sie so die Verpflegungskosten einsparte. (Ratet mal, ob wir auch nur den Zipfel der Prämie sahen …)
Also wurde ich in den Komasarkophag gelegt und schlief zusammen mit einer Stubenfliege ein, und dann war ich für eine Weile weg. Und dann kamen die Sexträume.
Als die Forscher zum ersten Mal von diesem Phänomen hörten, trauten sie ihren Ohren nicht. Und die meisten der Versuchspersonen behielten es auch für sich, das Thema war doch zu peinlich. Erst als die Komagefrierer bereits im Handel waren und die Allgemeinheit Zugang zu ihnen hatte, begannen sich die Gerüchte zu verbreiten. Sobald man eingefroren war, begann man vom Sex zu träumen. Es hieß, das würde die ganze Zeit so weitergehen. Ein einziger, langer, intensiver Sextraum.
Was eigentlich unmöglich sein sollte. Tiefgefrorene Menschen können nicht träumen. Und schon gar nicht von Sex. Während unzähliger Experimente wurden die Versuchspersonen gescannt und auf jede denkbare Art und Weise ausgelotet. Und die ganze Zeit lag die Gehirnaktivität bei absolut Null. Die Nervenzellen und ihre Dendriten lagen eingefroren und unbeweglich da. Nicht ein einziges Ganglion, nicht eine Synapse war aktiv. Das gesamte Telefonnetz lag danieder, stumm, in Dunkelheit versenkt.
Einer der Konstrukteure des Komaschockgefrierers, der grönländische Professor organischer Thermik Jesper Qaqortoq, beschloss, dem Gerücht persönlich auf den Grund zu gehen. Zwei Wochen lang ließ er sich selbst unter genauester wissenschaftlicher Observation einfrieren.
Als er wieder geweckt wurde, hatte er äußerst schlechte Laune und war auffällig wortkarg. Das Betreuungsteam versicherte ihm, dass seine EEG-Kurve die gesamte Zeit über flach verlaufen sei. Er brummte etwas, fuhr mit einem Taxi nach Hause und kehrte ein paar Wochen später mit seinem schriftlichen Rapport zurück.
Jesper Qaqortoq bestätigte das mit den Sexträumen.
Im Übrigen war er bemerkenswert geizig mit Einzelheiten. Doch die Träume existierten, und sie waren von frivolem Charakter. Viel mehr als das stand nicht in der Pressemitteilung, die herausgegeben wurde.
Die Reaktionen waren unterschiedlich. Viele Journalisten glaubten, es handle sich um falsche Propaganda, um die Leute leichter überreden zu können, auf extrem lange Fahrten zu gehen. Und das war auch tatsächlich die Folge. Sobald die Leute von der Sache hörten, wurden die Buchungsbüros von Menschen überrannt, die sich aufmachen wollten. Fünf Jahre wie ein tiefgefrorenes Elchsteak dazuliegen, war ja wohl kein Problem, wenn man währenddessen feuchte Träume hatte. Unglaublich, wie eifrig sie bei der Sache waren.
Blau also. Blaubb … Blubb … Ein Kitzeln im Hinterkopf, als die Nitrogenmischung zu wirken beginnt. Ich und die eingesprühte Stubenfliege ins gleiche Leichenhemd gezwängt. Voll prickelnder Erwartung, gleich fängt die Party an. Doch vorher wird der blaue Schimmer erst einmal schwächer. Schrumpft ins Schwarze. Man fällt, verschwindet. Der
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