Das Loch in der Schwarte
verlassen, das konnte die Seele auch nicht, denn die Person lebte ja weiter, wenn auch in tiefgefrorenem Zustand.
Während aller Zeiten hat sich der Mensch ja schon gefragt, ob die Seele wohl wirklich existiert. Und jetzt konnte diese Frage zum ersten Mal ganz wissenschaftlich mit einem Ja beantwortet werden. Es gab die Seele, die Seele war unsterblich, und die Seele war leider ein altes Ferkel.
Das genügte dennoch, um Millionen sich bekehren zu lassen.
Eine Welle der Neuerweckung schwappte über die Welt, bei der die Farbe Blau verehrt wurde. Man baute Altäre aus schimmerndem Eis und führte lang gezogene, kaum erträgliche Gebetsstunden ein, während derer die Teilnehmer einer nach dem anderen von ihren tiefgefrorenen Sexfantasien Zeugnis ablegten, die sorgfältig aufgenommen wurden, um sie niederzuschreiben und als Heilige Schriften an nichts Böses ahnende Postorderkäufer nicht zuletzt in Nordfinnland zu verkaufen.
Ich selbst habe mich jedoch nie wieder einfrieren lassen.
Das Roadermanifest
m Weltraum geht man einander schnell auf die Nerven. Das ist eines der ersten Dinge, die man als Roader erfährt. Menschen sind anstrengend. Bei allen Besatzungen entsteht deshalb früher oder später einmal ein Konflikt. Da gibt es einen, der dauernd den Speichel durch die Zähne einsaugt. Der jeden Satz mit »nich« enden lässt. Der sich die Finger anfeuchtet, bevor er in den Handbüchern blättert. Der seine Strumpfflusen in der Dusche hinterlässt. Der mit halb gekautem Essen im Mund redet, der Zahnpastaflecken auf den Spiegel spritzt, der mit der Rückenlehne quietscht, der mit den Fingergelenken knackt, der Popel unter die Tischplatte klebt oder das Ende aller Videofilme verrät.
Man selbst ist ja leider perfekt. Der Einzige, der sich benehmen kann. Und sonderbarerweise ärgert genau das die anderen, besonders, wenn man versucht, die allergrößten Mängel in der Umgebung zu beanstanden. Und schon bald sind alle in eine schonungslose psychische Terrorbalance verstrickt.
Das kann nicht gut gehen. Das versteht sich von selbst. Zu Beginn der Roaderepoche kam es vor, dass Erzfrachter nach mehrjährigen Reisen zurückkehrten, und wenn die Last gelöscht wurde, musste man feststellen, dass die Besatzung das gesamte Schiff geteilt hatte. Sie hatten in der Mitte eine Berliner Mauer errichtet, den Vorrat geteilt und danach mehrere Jahre nicht mehr miteinander gesprochen. Manchmal kam es noch schlimmer, dann hatte die eine Hälfte die andere ganz einfach gefangen genommen. Den Feind in die Gymnastikhalle oder den Andachtsraum gesperrt und ihnen durch ein Loch in der Tür die Essensrationen geschoben. Im Extremfall hatte man die Besatzungsmitglieder, die am meisten gestört hatten, umgebracht. Zu der Zeit gab es eine inoffizielle Todesstrafe, »Hundeschwimmen« genannt. Es handelte sich ganz einfach um einen Weltraumspaziergang ohne Raumanzug, während der Rest der Besatzung sich die Nasen an den Kabinenscheiben platt drückte. Im Logbuch wurde es als Unfall deklariert, und dann war nur noch zu hoffen, dass die Angehörigen nicht anfingen, nachzubohren. Doch bald stellte man fest, dass sich so das Problem nicht lösen ließ. Wenn eine Besatzung auf einen Sündenbock aus war, war es nur eine Frage der Zeit, wann der nächste Konflikt auftrat. Und ein neues Opfer zum Hundeschwimmen ausersehen wurde. Und dann noch eines. Und früher oder später war man selbst an der Reihe.
Zu dieser Zeit wurde viel von dem militärischen Forschungsschiff Enterprise geredet. Als es nach einer achtjährigen Expedition zurückkam, war die Besatzung von einhundertfünfzehn Teilnehmern auf vierundsechzig geschrumpft. Die Überlebenden waren mit den Nerven am Ende und in einem erbärmlichen psychischen Zustand. Sie jammerten von einer Epidemie, die ausgebrochen war, einem tödlichen Virus, der einen nach dem anderen befallen hätte, so dass man gezwungen war, die Leichen auf Grund des Ansteckungsrisikos in den Weltraum zu schicken. Die irdische Justiz wurde jedoch misstrauisch. Als man das Schiff genauer untersuchte, fand man mehrere Blutflecke, die übermalt worden waren oder bei denen man versucht hatte, sie zu entfernen. An einigen Metallgeländern waren sonderbare Kratzer zu sehen, und in Bodenfugen darunter fand man Spuren von Kot und Blut. In der Werkstatt entdeckte man einen abgeknipsten großen Zeh, der unter eine Schutzplatte gerollt und dort mit der Zeit mumifiziert war. DNA-Proben zeigten, dass der Zeh der Freelance-Filmerin
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