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Das Loch in der Schwarte

Das Loch in der Schwarte

Titel: Das Loch in der Schwarte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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nach Urin. Das ganze Raumschiff verwandelte sich mit der Zeit mehr und mehr in eine qualmende Sardinenbüchse. Tatsache war, dass der Gestank in einem Raumschiff, das ein paar Jahre herumdüst, so entsetzlich ist, dass jedem, der sich ihm von außen nähert, übel wird. Die Besatzung selbst wird eins mit dem Geruch. Sie gewöhnt sich dran.
    In den ersten Jahren dieser Epoche gelang es nur wenigen zurückzukehren, ihre Karre wieder auf Mutter Erde zu stellen und herauszukrabbeln, schwindlig und mit zitternden Beinen. Ihr infernalischer Gestank führte dazu, dass man bald eine spezielle Baracke neben dem Haupthangar für sie einrichtete, mit Dusche und Desinfektion, wo sie sich den schlimmsten sauren Talg abschrubben konnten. Doch die allermeisten Abenteurer blieben verschwunden. Vermutlich starben sie. Ihre alten Kisten leckten und waren unzureichend ausgestattet, und sie selbst waren nur schlecht auf die Tristesse und Isolation vorbereitet. Die meisten fuhren in den sicheren Tod. Wahrscheinlich rechnete eine ganze Reihe von ihnen sogar damit. Entschlossen stellten sie den Navigator ab, sobald sie das Sonnensystem verließen, davon überzeugt, nie wieder zurückzukehren. Andere hatten sorgfältig ausgerechnet, wie sie nach einer zehnmonatigen Alleinfahrt zurückkehren wollten, erlitten dann aber dort, wo es keine Hilfe gab, Schiffbruch. Vergessen, ausradiert. Verwandelten sich in herumtreibenden Weltraumschrott.
    Mit der Zeit besserten sich die Zustände. Die gebrauchten Fahrzeuge waren von immer besserer Qualität, die Ausrüstung ebenso, und vor allem lernte man aus den Erfahrungen. Mehrere der Alleinsegler, denen es gelungen war, wieder zur Erde zurückzukommen, gaben Reiseberichte heraus mit Titeln wie: Hallo Kosmos! – Unter Asteroiden und Vakuumpilzen – Eine Blase im Glas des Alls – oder, ein richtiger Bestseller: Ich schaute bei Gott vorbei, doch es war niemand zu Hause, von Ruben Stanislawski. Letzteres eine Mischung aus zarter Weltraumpoesie, Reparaturhandbuch, Midlifecrisis und nicht zuletzt einer Schilderung der Psychose, von der Stanislawski in seiner Isolation überfallen wurde. Das Kapitel darüber, wie er wochenlang alle Nieten des Schiffs zählt und es anschließend mit einem Kunstledersofa treibt, ist bereits ein literarischer Klassiker.
    Dinge gehen kaputt. Diese Erfahrung war allen Reisenden gemein. Aber im Unterschied zur Erde konnte man nicht einfach in den nächsten Laden gehen und sich eine neue Lötlampe kaufen. Jeder lokkere Kontakt, jede kleine Korrosion kann schicksalsentscheidend sein. Eine Luftschleuse, die nur ein klein wenig leckt, kann in einem halben Jahr das gesamte Schiff leeren. Ein einziger Kreis, der zusammenbricht, und die komplette Navigationsausrüstung wird unbrauchbar. Man musste also ein Reservesystem haben. Das war das A und O. Reserveteile und Reparaturwerkzeug. Funktionierte die Wasserklärung nicht, starb man. So einfach war das. Ohne Gewächshaus gab es keine Fotosynthese, und ohne Fotosynthese gab es keinen Sauerstoff. Das haben diverse Geisterschiffe dort draußen erfahren müssen.
    Ruben Stanislawski wurde von verschiedenen Katastrophen heimgesucht, doch es gelang ihm, die meisten abzuwenden. Lebensgefährlich wurde es, als ein Raumbrocken einen Riss in die Kabinenwand schlug und die Luft mit einem Zischen austrat. Ruben warf sich seinen Raumanzug über und aalte sich hinaus in die Schwerelosigkeit, mitten hinein in den funkelnden Sternenhimmel, nur mit Sauerstoff für sieben Minuten versehen. Wie ein Marienkäfer auf einem Grashalm kroch er die Stagleine entlang zu den Sonnenpaneelen. Plötzlich kippte das Schiff zur Seite, und er verlor den Halt. Mit einem Mal kreiselte er im Weltall umher. Ein wehrloser, zappelnder Käfer. Oder mit seinen eigenen Worten:
    Mit augenblicklicher Klarheit wurde ich von Panik ergriffen. Ich war verloren. Vor mir sah ich, wie sich der dunkle Achterspiegel des Schiffes erhob. Unbeirrbar trieb es in die Nacht hinein. Ich war ein Matrose, der über Bord gespült worden war und nun sah, wie sein Fahrzeug verschwand. Das letzte Sonnenpaneel glitt nur einen Meter von mir entfernt vorbei, die letzte holprige Rettungsboje. Ich streckte mich, schwamm fieberhaft in dem leeren Raum. Doch ich erreichte es nicht. In wenigen Minuten würde ich tot sein. Ich hoffte nur, dass es schnell gehen würde. Ich beschloss, einen Todeskampf zu vermeiden. Wenn der Sauerstoff zu Ende gehen würde, bevor die Schmerzen mich durch die Krämpfe hilflos machen

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