Das Los: Thriller (German Edition)
Haar, das zu beiden Seiten in Locken über die Schultern fiel, dem gleichzeitig neugierigen und traurigen Blick und den klaren Gesichtszügen glich ihre Mutter ein wenig Sarah Ferguson, der Duchess of York, was ihr Mitte der Achtzigerjahre den Spitznamen Fergie eingebracht hatte. Trisha war froh, dass sie die dunklen Haare ihres Vaters geerbt hatte und daher noch nie jemand auf die Idee gekommen war, auch ihr diesen Spottnamen zu verpassen, obwohl sie ihrer Mutter im Gesicht ähnelte.
Trisha löste sich endlich aus der Umarmung ihres Vaters. Jetzt erst sah sie, dass auf dem Wohnzimmertisch eine kleine Tafel gedeckt war. Sie lächelte. »Du hast Teatime vorbereitet.«
Ihre Mutter hatte immer noch feuchte Augen, als sie erklärte: »Wie früher. Am Geburtstag gibt es doch immer Teatime. «
Das war eine der vielen Traditionen im Hause Wilson. Zum Geburtstag holte ihre Mutter die alten Rezepte heraus und bereitete eine Teatime . Solange Trisha zurückdenken konnte, war es so. Nur der Schuss Milch, mit dem der Darjeeling für die Tochter verdünnt wurde, fiel mit jedem Geburtstag kleiner aus.
»Du hast gar keinen Koffer dabei«, bemerkte ihr Vater plötzlich und zeigte auf die Handtasche, die Trisha noch nicht von der Schulter abgenommen hatte.
»Ich fahre heute Abend wieder«, antwortete Trisha leise, aber bestimmt. Für einen langen Moment herrschte betretenes Schweigen.
Schließlich unterbrach Trishas Mutter die unbehagliche Stille. »Dann freuen wir uns, dass du jetzt da bist!«, sagte sie, und man hörte eine Portion Tapferkeit aus ihren Worten.
Sie nahm Trisha die Handtasche ab, und kurz darauf saß die Familie Wilson seit vielen Jahren erstmals wieder vereint um den schmalen Couchtisch.
»Keine Milch. Ich trinke ihn ohne alles.« Trisha hielt ihre Hand schützend über ihre Teetasse.
»Unsere Trish ist erwachsen geworden«, bemerkte ihre Mutter, während sie das Milchkännchen wieder beiseitestellte.
»Probier die Scones! «, forderte ihr Vater sie auf. »Deine Mutter hat dafür die halbe Nacht in der Küche gestanden.«
»Mit Clotted Cream! Wie du sie liebst«, fügte sie hinzu, hob eine Schüssel mit dem geklumpten Rahm in die Höhe und hielt sie Trisha entgegen.
»Das sieht wirklich köstlich aus, aber ich bin gerade auf Diät«, entgegnete Trisha und legte ihre rechte Hand auf den flachen Bauch.
»Vielleicht später«, meinte ihre Mutter, und es klang so, als ob jemand zum Ausdruck bringen würde, dass er auf besseres Wetter hoffte.
»Wir haben uns sehr über deine Nachricht gefreut«, sagte ihr Vater, der in seiner rechten Hand die Tee- und in der linken die Untertasse hielt. »Das Wichtigste ist eine gute Ausbildung. Und du hast mit deinem schlauen Köpfchen alle Chancen!«
Ich habe so viele Leute mit hervorragender Ausbildung kennengelernt, die weniger verdienten als ein Kneipenwirt oder ein mittelmäßiger Drogendealer, dachte Trisha. Sie sprach es aber nicht aus.
»Nur wenige haben die Möglichkeit, an einer Eliteuniversität zu studieren!«, merkte ihre Mutter an.
Letztlich ist es nur eine Frage des Geldes, fuhr es Trisha durch den Kopf. Ein reicher Vater, eine großzügige Spende, ein Anruf bei einem der wichtigen Herren im Beirat – und selbst der größte Dummkopf konnte dort seinen Abschluss machen. Aber auch diesen Gedanken behielt sie für sich.
»Ich finde es verdammt anständig, dass diese Universität dir eine zweite Chance gibt, nachdem du das Studium schon einmal abgebrochen hast«, hob ihr Vater hervor. »Und dass sie sogar einen Teil der alten Studiengebühren anrechnen. Da hast du großes Glück!«
Trisha nickte zustimmend. »Bis auf die zehntausend Pfund«, bemerkte sie. Den Gesichtsausdruck, den sie nun aufsetzte, hatte sie in den vergangenen Jahren zigmal vor diversen Spiegeln geübt. Für gewöhnlich setzte sie ihn an anderen Tischen als diesem hier ein.
Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie ihre Mutter mit glühenden Wangen erwartungsfroh zu ihrem Vater hinüberblickte. Der erhob sich daraufhin, erreichte mit zwei großen Schritten den Wohnzimmerschrank und öffnete eine der Glastüren, hinter der ein paar Zinnbecher aufgereiht waren. Dann ergriff er einen Briefumschlag, der dort versteckt wartete. Wortlos trat er zu Trisha und übergab ihr den Umschlag. Anschließend setzte er sich wieder in seinen Sessel und fixierte sie mit ernster Miene. Als Trisha bemerkte, dass ihre Hand zitterte, legte sie den Umschlag eilig auf ihrem Schoß ab. Wieder registrierte sie,
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