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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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strahlte Ernestine und umarmte Robert Schumann so leidenschaftlich, dass er sich verlegen räusperte und sie sanft von sich schob.
    Am späten Abend, als die Feier zu Ende war und die Gäste das Haus verlassen hatten, berief Herr von Fricken seinen künftigen Schwiegersohn zu einem Gespräch »unter Männern«. Robert Schumann nahm ihm gegenüber am Kamin Platz. Vielleicht dachte er an seinen Vater, der immer nur in seine eigene Welt eingesponnen gelebt hatte und außer seiner Tochter kaum jemanden an sich heranließ. Robert Schumann, das Kind, und Robert Schumann, der Heranwachsende, hatten sich immer nach einem Vater gesehnt. Für kurze Zeit schien Friedrich Wieck ihn ersetzen zu können. Doch er hatte seinen Schüler nach dessen Handverletzung unbarmherzig verstoßen – so empfand es wenigstens Robert Schumann. Nun aber sollte er endlich bekommen, wonach er sich sehnte. »Mein lieber Schwiegersohn«, redete ihn Herr von Fricken an, und Robert Schumann hörte es gern.
    Was darauf folgte, war jedoch weniger nach seinem Geschmack. Niemand im Hause wusste genau, worum es in der Auseinandersetzung ging, die plötzlich ausbrach. Trotzdem konnten es sich die Gutsbewohner wahrscheinlich denken, und ihre Vermutungen und Behauptungen nahmen sofort ihren Weg nach Leipzig und sogar nach Zwickau.
    Tatsache war, dass Robert Schumann in dieser Nacht mit dem Familiengeheimnis derer von Fricken konfrontiert wurde, nämlich dass Ernestine keine leibliche Tochter des Freiherrn war, sondern das uneheliche Kind seiner Schwägerin und eines verkommenen Subjekts namens Lindauer, der sich umgehend aus dem Staub machte, als er erfuhr, was er angerichtet hatte.
    Herr von Fricken hatte das Kind gleich nach der Geburt ins Haus genommen und als sein eigenes erklärt – unehelich, aber eben doch das Kind des Gutsherrn. Erst vor kurzem hatte er beschlossen, Ernestine auch offiziell zu adoptieren, dies allerdingsohne Erbberechtigung. »Der Name muss genügen, lieber Schwiegersohn«, hatte er zu Robert Schumann gesagt, der unter ganz anderen Voraussetzungen hierhergereist war. Als dann in seiner Rocktasche auch noch ein anonymes Schreiben knisterte, in dem behauptet wurde, Ernestine sei nicht nur nicht das Kind des Freiherrn, sondern sei für kurze Zeit sogar seine Geliebte gewesen, gab es für Robert Schumann kein Halten mehr. Die roten Backen und das feurige Temperament des jungen Mädchens hatten ihren Reiz eingebüßt. Lieber jetzt als Schuft gelten als ein Leben lang mit einer Frau ausharren, die seinen idealistischen Vorstellungen von einer ehrbaren Gemahlin widersprachen und die noch dazu ohne jedes Vermögen vor den Altar treten würde.
    So kam es, dass Robert Schumann mit hochrotem Kopf das Gutshaus verließ, während sich Ernestine weinend an ihn klammerte, um ihn zurückzuhalten. Herr von Fricken stand gestikulierend auf dem Treppenabsatz und drohte mit einer Klage wegen Bruch des Eheversprechens, woraufhin Robert Schumann so laut, wie ihn noch nie jemand gehört hatte, konterte, das solle man ruhig versuchen. Dann werde aber alle Welt erfahren, wie gemein er getäuscht worden sei. »Auch ich werde sofort einen Rechtsbeistand einschalten!«, kündigte er mit überkippender Stimme an. Dann stürmte er – unter der Last seines gesamten Gepäcks – zur Poststation, wo er noch mehrere Stunden warten musste, bis er endlich den Schauplatz seiner Enttäuschung verlassen konnte.
    Auf schnellstem Wege reiste er zu seiner Mutter nach Zwickau, um ihre Absolution und ihren Trost einzuholen.
    Währenddessen erreichten die skandalösen Nachrichten auch schon Leipzig und wurden dort freudig begrüßt – allerdings nicht von Friedrich Wieck. »Das sieht ihm ähnlich!«, murrte er, enttäuscht, dass der Herzensbrecher nun womöglich doch wieder in Claras Nähe auftauchen würde. »Er sollte sich fragen, warum immer er es ist, der Pech im Leben hat.«
3
    Clara jedoch atmete auf. Eigentlich hatte sie sich gar nicht vorstellen können, Robert Schumann für immer aus ihrem Leben zu verlieren. Während er noch in der Kutsche nach Böhmen saß, erinnerte sich Clara bereits mit Sehnsucht an die vielen Spaziergänge mit ihm, an die Briefe, die sie gewechselt hatten, und auch an sein Lachen und sein welliges braunes Haar. Nun, da er fort war und für immer verloren schien, merkte sie erst, wie sehr er ein Teil ihres Lebens geworden war. Auch wenn seine versteckte Kritik sie geschmerzt hatte, so hatte er sie doch meistens für voll genommen – zumindest in

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