Das Maedchen am Klavier
war. Bis dahin hatten die eigenen Erfolge hoffentlich in Clara wieder jenen Egoismus erweckt, den ein Künstler brauchte, um nach ganz oben zu gelangen.
Teil Drei
Triumph der Jugend
Allegro furioso
1
Fünf Monate Konzerttournee. Fünf Monate unterwegs in kaum gefederten Postkutschen. Fünf Monate in schmutzigen Gasthöfen und verstaubten Hotels. Fünf Monate schlechtes Essen und am Morgen eine einzige Kanne kalten Wassers zum Waschen. Fünf Monate gemeinsam in einem Zimmer mit dem Vater. Fünf Monate ohne eine Minute für sich selbst. Fünf Monate, in denen man gegen die Gereiztheit ankämpfte, die der allzu großen Nähe entsprang. Fünf Monate ununterbrochen »kleiner Russe« spielen, weil man nur so den strahlenden Anschein der Konzertprinzessin aufrechterhalten konnte. Fünf Monate Selbstbeherrschung und Disziplin.
Wieder bluteten die Fingerkuppen und spalteten sich die Nägel. Wieder kämpfte man gegen die »Instrumentennot«, wenn die Mechanik klemmte und die Tasten nicht repetierten; wenn die Saiten während des Vortrags rissen und die Instrumente in der feuchtwarmen Luft der überfüllten Säle schon nach kurzer Zeit verstimmt waren.
Wieder spielte man in engen Salons und kleinen Zirkeln für einen Schluck Wasser oder ein Körbchen mit Blumen, während die Damen mittleren Alters Tee tranken oder heiße Schokolade und die älteren strickten oder in unterdrücktem Flüsterton miteinander plauderten. Im Nebenraum saßen am Spieltisch die Herren, die für Musik nicht ganz so viel übrig hatten, und waren sich nicht immer einig. Trotzdem stand die Tür zum Salon offen und das junge Klaviergenie gab sein Bestes, denn es galt, dasPublikum für die Aufführungen in den großen Sälen anzuwerben. Dort wurde dann das Geld verdient, das Friedrich Wieck in seiner feuersicheren Schatulle verschloss, und dorthin kamen auch die Herren von der Presse, die erbarmungslosen Richter, deren Wohlwollen man brauchte, um nicht in die Bedeutungslosigkeit zurückzusinken. Hier hörte man zu und hier war man auch entschlossen zu applaudieren, großzügig und temperamentvoll, weil man im biedermeierlichen Alltag ohnedies allzu vielen Einschränkungen unterworfen war. Deswegen liebte man ja auch den wilden Paganini, für den es keine Schranken gab, und den exzentrischen Liszt, der an einem einzigen Abend zwei Klaviere verschliss. Wenn er das eine zuschanden gespielt hatte, zog er eigenhändig das zweite zu sich heran und wütete weiter, während das Publikum raste.
Auch das junge Mädchen mit dem blassen Gesicht und dem glänzenden blauschwarzen Haar war in der Lage, das Publikum von den Stühlen zu reißen. So viel Kraft in so jungen Händen! So viel Erregung und dann wieder so viel Seele! Welche Befreiung, sich dieser Kunst auch selbst auszuliefern! Zu jubeln und zu klatschen und mit anzusehen, wie die Kleine sich freute. Es war leicht, ihre Freude zu teilen und sich in ihrem Lächeln zu spiegeln. Dafür hatte man bezahlt. Dafür hatte man sich zurechtgemacht und in die zugige Winternacht hinausbegeben, anstatt es sich am Ofen gemütlich zu machen. Allegro furioso – so fühlte man sich. »Pariser Beifall!«, schrieb Friedrich Wieck in Claras Tagebuch. »Jede schöne Stelle, jede Koketterie, jedes einfache Thema wurde beklatscht, bepocht und bebravot.«
Fünf Monate Konzerttournee: Halle, Magdeburg, Braunschweig, Hannover, Bremen, Hamburg und Berlin. So viele Städte, von denen man nur wenig sah. So viele verschiedene Räumlichkeiten. So viele Instrumente, an denen man sich quälte. So viele Menschen, denen man zulächelte und mit denen man sprach, ohne sich ihr Gesicht oder gar ihren Namen merken zu wollen. Man würde sie ja doch gleich wieder vergessen. Wie die Masken eines Karnevalsumzugs glitten sie vorbei, drängten sichfür einen Augenblick nach vorn und waren dann für immer verschwunden.
Fünf Monate Mühe, in denen trotz aller Abwechslung ein Tag dem anderen zu gleichen schien. Trotzdem spürte man, dass es aufwärtsging. Von Mal zu Mal war es leichter, die Säle zu füllen. Schon in Magdeburg drängten sich sechshundert Menschen zum Konzert, und in jeder weiteren Stadt wurden es mehr. Während man zu Beginn der Tournee noch ergebenst bei den Honoratioren anfragen musste, ob ein kleines Hauskonzert eventuell erwünscht sei, trafen bald gleich nach der Ankunft im Hotel die ersten Einladungen ein, und andere Künstler erkundigten sich, ob sie sich der Aufführung anschließen dürften. Auch die Herren von der Presse
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