Das Maedchen am Klavier
dem Maße, wie ein Mann seiner Erziehung ein weibliches Wesen überhaupt für voll nehmen konnte. Von »lieblicher Mädchenklugheit« hatte er in seiner Zeitschrift über sie geschrieben und seine Telepathie-Spielchen hatten immer nur ihr gegolten und keiner anderen. Eusebius verehrte Zilia, auch wenn Florestan Frauen bloß als verkleinerte Doppelgänger von Männern ansehen wollte. Doch vielleicht, so dachte Clara, brachte die böhmische Enttäuschung Florestan für immer zum Schweigen und Eusebius kehrte zu seiner kleinen Herzensfreundin zurück und merkte endlich, dass sie inzwischen schon fast erwachsen geworden war, als Mädchen und auch als Künstlerin.
Friedrich Wieck beobachtete voller Misstrauen Claras nachdenkliches Schweigen und ihre verträumten Blicke. Da inzwischen erzählt wurde, Robert Schumann werde bald nach Leipzig zurückkommen, um sich wieder intensiv seiner Zeitschrift und seinen Kompositionen zu widmen, wuchs Friedrich Wiecks Unruhe von Stunde zu Stunde. Immer wieder blieb er vor der Tür stehen, hinter der Clara am Klavier saß. Bisher hatte er nicht darauf geachtet, was sie spielte, doch nun merkte er, dass ihm die Kompositionen unbekannt waren. Fremdartige Stücke im Stil der Romantik. Schumann? Liszt? Oder Mendelssohn?
Ohne anzuklopfen, trat er ein. »Von wem ist das?«, fragte er barsch.
Clara hörte nicht auf zu spielen. »Von mir, Papa«, antwortete sie ein wenig schnippisch. »Es heißt ›Geisterballett‹ .«
Friedrich Wieck ließ sich in den Sessel am Fenster fallen. »Das ist ja schlimmer, als ich dachte!«, murmelte er.
Doch Clara hörte ihn nicht. Voller Hingabe spielte sie ihm ihre »Quatre Pièces Caractéristiques« und ihre »Soirées Musicales« vor, überzeugt, dass er stolz auf sie sein würde. Dabei bemerkte sie nicht, in welche Verwirrung sie ihn stürzte. Von der Seite her starrte er sie an wie eine Fremde. Dieses junge Mädchen hier am Klavier war nicht sein Clärchen mit seinen virtuosen Fingersätzen, seinem Kadenzgedonner und seinen gefälligen Melodien. Dies hier war schon fast eine junge Frau, der es nicht mehr nur darauf ankam, zu bezaubern, sondern die hinter ihrem Werk bescheiden zurücktrat.
Friedrich Wieck mochte die Romantiker nicht. Trotzdem war er in der Lage zu unterscheiden, was gut war und was schlecht. Was ihm seine Tochter hier zumutete, war trotz seiner Abneigung gegen den betreffenden Stil gut, das erkannte er sofort. Seine Gedanken drehten sich. Eigentlich hätte er am liebsten das Manuskript zerrissen, das unter der Kraft des Spiels auf dem Notenständer bebte. Am liebsten hätte er die Zeit zurückgedreht und sein kleines Püppchen wiedergehabt, dem ein Dichterfürst das Kissen zurechtgeschüttelt hatte.
Trotzdem erkannte er sofort, dass auch die neuen Kompositionen Kapital bringen konnten. Vielleicht schadete es gar nicht, wenn Clara als modern galt. Möglicherweise wurde sie dafür sogar von der Kritik gelobt. Es kam allerdings darauf an, bei den Konzerten Claras kompositorische Entgleisungen in Grenzen zu halten, um das Publikum nicht zu verprellen. Solange sie dem Publikum bei den Konzerten gab, was es wollte, konnte sie ihm durchaus auch ein paar Gespenstergeschichten unterjubeln – allerdings immer nur in homöopathischen Dosen, wie Friedrich Wieck sie aus eigener Erfahrung auch in der Medizin schätzte.
Während Clara ihre »Mazurka« spielte und kurz zu ihm herüberlächelte, fiel ihm wieder ein, dass Robert Schumann bald ausZwickau zurückkehren würde. Als ein von der Liebe Enttäuschter würde er bestimmt die Herzen der Damen in den Salons rühren. Auf Claras Herz aber, das schwor sich Friedrich Wieck, würde der Filou keinen Zugriff bekommen. »Sehr schön, liebes Kind«, sagte er, als Clara zu spielen aufgehört hatte und ihn fragend anblickte. »Wirklich gut!«
Clara sprang auf und umarmte ihn. »Ist das wahr, Papa?«, rief sie beglückt und küsste ihn auf die Wange. »Du bist wirklich zufrieden mit mir?«
Ihr Ungestüm bestärkte Friedrich Wieck in seinem Entschluss. »Ich werde mich sofort um eine Veröffentlichung bemühen«, erklärte er sachlich. »Und nächsten Montag reisen wir ab. Es wird Zeit, dass meine kleine Pianistin wieder vor ihr Publikum tritt.«
Da jubelte Clara auf, während Friedrich Wieck überlegte, wie man die neuen Stücke bei den Konzerten möglichst im Hintergrund halten konnte und wie lange man wohl wegbleiben musste, damit bei der Rückkehr das Mitleid mit dem getäuschten Bräutigam erloschen
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