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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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mussten nicht mehr untertänigst gebeten werden, über die Konzerte zu berichten, sondern sie erschienen ganz von selbst, erkennbar an den Ehrenkarten, die lässig aus ihrer Rocktasche hervorlugten, an den Notizblöcken, mit denen sie ganz beiläufig wedelten, und vor allem an den Respektsbezeugungen, die ihnen den Weg in die vorderste Reihe bahnten.
    Clara wusste, wie wichtig gute Kritiken für ihr Fortkommen waren. Höflich knickste sie, wenn nach der Vorstellung einer der einflussreichen Herren mit ihr zu sprechen wünschte. Dann stand sie Rede und Antwort – zurückhaltend, doch ohne sich jemals unterwürfig oder kokett zu geben. »Wir sind keine Speichellecker«, hatte ihr Friedrich Wieck schon vor Jahren eingeschärft.
    »Es ist gut für uns, wenn sie lobend über uns berichten. Das heißt aber nicht, dass wir vor ihnen kriechen müssen. Sie sind austauschbar, wir nicht.« Dabei erinnerte er sich daran, wie wenig sich sein immer noch heimliches Vorbild Paganini um die Presse bemüht hatte. Dennoch lag sie ihm zu Füßen, weil sie wusste, dass das Publikum auf seiner Seite stand. Das Publikum – was bedeutete: die Leser, die die Zeitschriften kauften. »Das Publikum muss dich lieben, Clärchen«, stellte Friedrich Wieck immer wieder fest. »Für das Publikum musst du alles tun. Du musst ihm bieten, was es hören möchte, und du darfst es nicht enttäuschen. Niemals darfst du zu spät kommen odergar ein Konzert ausfallen lassen, und niemals, niemals! darfst du es wagen, schlecht zu spielen. Schlamperei ist Betrug. Man zahlt, um die beste Clara Wieck zu hören, die es gibt. Achte dein Publikum, dann wird es dich achten!«
    Seine Worte trugen Früchte, auch wenn er selbst vor niemandem seinen Rücken beugte. Kein öffentliches Konzert, an dem die kräftigen Mädchenhände nicht ein deutliches Plus erwirtschaftet hätten. Kein Konzert aber auch, nach dem die Zuhörer nicht zufrieden nach Hause gegangen wären. Sie hatten schöne Musik gehört, Musik von der Art, an die sie gewöhnt waren. Dazu auch »etwas anderes«, »etwas Romantisches«, was ihnen zwar nicht ganz so gut gefiel, was sie aber trotzdem willig über sich ergehen ließen, weil es bewies, dass sie nicht von gestern waren, sondern mit der Zeit gingen.
    Aus der Zeitung wusste man, dass dieses junge Ding nicht nur Klavier spielen konnte, sondern auch selbst komponierte. Ein weibliches Wesen, das komponierte! Im avantgardistischen Stil komponierte! Berichtete nicht sogar die angesehene Musikzeitschrift »Cäcilia« , dass international geschätzte Künstler wie Louis Spohr und Frédéric Chopin die neuesten Kompositionen der jungen Wieck hoch gelobt hatten und sie in eine Reihe stellten mit den Werken des berühmten Mendelssohn und des nach und nach akzeptierten Robert Schumann? Ja, ein Abend mit Clara Wieck war schon etwas Besonderes: Man hatte seinen Musikgenuss und konnte sich zugleich als fortschrittlicher Kunstkenner fühlen. »Bravo, Clara!«, rief man und klatschte enthusiastisch, und die, die schon einmal in Italien gewesen waren, riefen »Brava! Bravissima!«
2
    Kein Tag verging, an dem sich Friedrich Wieck nicht Sorgen machte, was wohl geschehen würde, wenn er mit Clara nach Leipzig zurückkehrte und sich der unselige Robert Schumannwieder an sie heranmachte. Zu lebhaft war Friedrich Wieck noch in Erinnerung, wie Claras Augen geleuchtet hatten, wenn das verkrachte Genie von seinem Idol Jean Paul schwärmte.
    Damals war Clara noch ein Kind gewesen, was sie vor den wirklich gefährlichen Verirrungen bewahrte. Inzwischen aber hätte man blind sein müssen, um zu übersehen, dass dieses Kind kein Kind mehr war. In Paris hatte man sie noch in ein Korsett gepresst, um Rundungen vorzutäuschen, die es nicht gab. Nun aber war kein Korsett mehr nötig. Nicht einmal ihr Vater konnte leugnen, dass seine Tochter genau so aussah, wie man es sich von einer jungen Frau nur wünschen konnte. Schlank und anmutig war sie durch ihre regelmäßigen Spaziergänge, und doch rundlich an den richtigen Stellen, dazu gesund und kräftig – sonst hätte sie ihr Pensum gar nicht erfüllen können –, aber doch zart und geschmeidig wie einst ihre Mutter.
    Zum ersten Mal seit langem gestattete sich Friedrich Wieck, an Marianne zu denken. Gegen seinen Willen fiel ihm ihr biegsamer Nacken ein, umkräuselt von schwarzen Löckchen, die sich nicht einfangen und bändigen ließen. Marianne, die ihn betrogen hatte. In Berlin lebte sie nun mit dem falschen Freund Bargiel, den

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