Das Maedchen am Klavier
zur Sohle.« Beim Gedanken an den Gerühmten nahm Friedrich Wieck eine sogar noch aufrechtereHaltung an als gewöhnlich. Fast fühlte er sich selbst als ein Mann von Adel – und war er nicht durch die Erfolge seiner Tochter schon längst über das kleinlich bürgerliche Maß hinausgewachsen? Auf jeden Fall sprach er den Gast von Anfang an mit »Fürst« an, als befände er sich mit ihm rangmäßig auf gleicher Ebene.
Friedrich Wieck wäre nicht er selbst gewesen, hätte er nicht sofort Erkundigungen über seinen Besucher eingeholt. Wirklicher Geheimer Rat sei der Fürst, erfuhr er, dazu Gesandter und – auch die finanzielle Seite sollte nicht außer Acht gelassen werden – Mitbesitzer der sächsischen Residenzen Waldenburg und Hartenstein. Die zahlreichen Stadtresidenzen des Fürsten und seine Waldbesitzungen konnte der Informant gar nicht aufzählen. Auf jeden Fall war Alfred von Schönburg ein Mann von Rang und Einfluss, den zu kennen Friedrich Wieck stolz machte. Außerdem, erfuhr er, sei der Fürst unverheiratet, obwohl er sich über mangelndes Interesse vonseiten der Damen nicht beklagen konnte.
Mit Genugtuung beobachtete Friedrich Wieck, dass der Fürst bei jedem von Claras Konzerten in der ersten Reihe saß und jedes Mal lebhaft applaudierte. Nach den Konzerten schickte er ihr Blumensträuße mit kleinen Billetts, in denen er ihren Vortrag lobte und für den Genuss dankte. Mit der Zeit kam er immer öfter auf einen kurzen Besuch zu Clara, plauderte ein wenig und verabschiedete sich dann bald wieder. Friedrich Wieck sah ihn jedes Mal nur ungern gehen.
Auch Clara fühlte sich in Gegenwart des Fürsten wohl. Er war für sie eine Art väterlicher Freund, der sie weder antrieb noch kritisierte. Mit seiner heiteren Gelassenheit erreichte er, dass sie sich hübsch und charmant fühlte, ein junges Mädchen mit allen Vorzügen, die man sich nur wünschen konnte.
An einem kalten, aber sonnigen Nachmittag traf sie Alfred von Schönburg zufällig auf einem ihrer Spaziergänge. Sie freute sich, als er sich ihr anschloss. Er erklärte ihr die Gebäude, an denen sie vorbeigingen, und erzählte ihr interessante kleine Vorkommnisseaus der Geschichte der großen Stadt. Clara hörte voller Begeisterung zu und stellte viele Fragen, aus denen ihr Begleiter erkennen konnte, wie wenig sie wusste. Trotzdem ließ er sich sein Erstaunen nicht anmerken. Gleichbleibend freundlich und galant führte er sie durch die Straßen zum Sommerpalast des Prinzen Eugen von Savoyen, den er mehr als jeden anderen Menschen verehrte. »Das Obere und das Untere Belvedere«, erklärte er stolz, als wären die beiden Schlösser am oberen und unteren Rand einer Anhöhe sein eigener Besitz. Dann betrat er mit Clara den Park, den sie, so stellte sie fest, gern im Frühling gesehen hätte. Arm in Arm flanierten sie auf den Kieswegen, zu ihren Füßen die große Stadt mit dem Stephansdom. In der Ferne die Hügel des Wienerwaldes. »Ich glaube, ich habe mich noch nie so wohl gefühlt«, gestand Clara. Erst als sie zu frösteln begann, traten sie wieder hinaus auf die Straße.
Erst jetzt bemerkte Clara die Kutsche des Fürsten, die ihnen wohl ständig gefolgt war. Sie fuhren zum Stephansdom, und der Fürst zeigte ihr das Grabmal des Prinzen Eugen. »Was für ein schöner Abschluss für diesen Spaziergang!«, lobte Clara, deren Sinn für Dramaturgie durch die Zusammenstellung ihrer Konzerte geschult war. »Glauben Sie mir, ohne Ihre Erzählungen wäre ich an diesem Grabmal bestimmt vorbeigelaufen. Ich hätte nur ein Gitter gesehen und dahinter eine Gruft.« Sie lächelte sanft. »Danke schön! Es war ein wunderbarer Nachmittag. Ich habe so etwas noch nie erlebt.« Da lächelte auch er und sah sie an, als hätte sie sein Herz gerührt.
Von nun an besuchte er sie fast jeden Nachmittag. Clara wunderte sich, dass sich ihr Vater meist schon nach kurzer Zeit verabschiedete: »Geschäfte, Fürst, Sie verstehen.« Auch Nanni zog sich zurück, wobei in ihrer Schürzentasche ein paar schwere Münzen klimperten, die ihr der Fürst großzügig zugesteckt hatte. Alle schienen zu wissen, worum es ging und was sie zu tun hatten. Nur Clara überließ sich einfach den angenehmen Gesprächen mit ihrem Gast. Manchmal spielte sie ihm etwas vor und sang, doch das alles nur aus Freude an der Musik und nichtals Pflichtübung wie in den Privatzirkeln, in denen sie für ihre Konzerte warb.
Voller Fürsorge bemühte sich der Fürst um sie und versuchte, ihr das Leben zu
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