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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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und heiratete möglichst weder hinauf noch hinunter. Beides war irgendwie nicht comme il faut. Zur inneren Erbauung liebte man die Künste, besonders die Musik, und in diesem Zusammenhang erlaubte man sich zuweilen so etwas wie Ekstase.
    »Hier werden wir siegen!«, schwor Friedrich Wieck, der trotz der winterlichen Kälte das Fenster weit geöffnet hatte und auf die nächtliche, menschenleere Straße hinunterblickte. »Jetzt kommt der Lohn für all die Mühe.« Es klang wie eine Prophezeiung. »Wenn uns erst Wien zu Füßen liegt, folgt bald darauf die ganze Welt.«
    Er hatte allen Grund für seine Zuversicht. Das erste Konzert im Saal des Musikvereins hatte die Zuhörer in Enthusiasmus versetzt. Beim zweiten Konzert, drei Tage vor Weihnachten, war bereits die Kaiserin erschienen. Achtzehn Mal wurde Clara an die Rampe gerufen und der Beifall glich im wahrsten Sinne des Wortes einem Donner. Ganz Wien sprach von Clara Wieck. Wer auf sich hielt, musste sie gehört haben. Am Tag nach Heiligdreikönig folgte das dritte Konzert und brachte die endgültige Entscheidung. »Claras vollständiger Sieg über Thalberg«, verkündete die Presse, und nach dem vierten Konzert drei Wochen später: »Der größte Triumph! Sieg über die Feinde!«
    »Ja, wir haben gesiegt!«, konnte Friedrich Wieck nun an Clementine schreiben. »Das war ein Gedränge! Achthundert Menschen! Meine acht Billettabnehmer haben taktweise Ohrfeigen und Prügel verteilt: falsche Billetts, nachgemachte, ohne Billettsich eindrängen wollen usw. Der Kampf an den Kassen wird immer heftiger. Man schlägt sich um die Karten. Stell dir vor, Tinchen: Sogar die Polizei muss immer wieder gerufen werden.«
    Ja, man hatte gesiegt. Sogar eine Torte à la Wieck wurde erfunden, eine »zart hingehauchte Mehlspeise«, wie man schrieb, »die sich von selbst den Schlund hinunterspielt«. Mit Claras Namen verkaufte sich alles. Auch die Eintrittspreise wurden immer höher. Friedrich Wieck ging nie zu Bett, ohne vorher seine Abrechnung zu erledigen. Danach konnte er vor Herzklopfen kaum noch einschlafen. Die Investitionen in seine Tochter hatten sich wahrlich gelohnt. Jetzt war nur noch wichtig, nicht nachzulassen im täglichen Bemühen. »Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist!«, hörte ihn Clara einmal nachts in seinem Schlafzimmer rufen. Dabei war er gar nicht wach. Doch die Aufregung über den Triumph, den er als den seinen betrachtete, verfolgte ihn bis in den Schlaf – angetrieben von der Sorge, irgendeine furchtbare Katastrophe könnte sich ereignen, die ihn mit seiner Tochter aus dem Paradies vertrieb.
    Insgesamt siebzehn Konzerte gab Clara in Wien. Doch auch die Tage zwischen diesen Ereignissen waren angefüllt mit Arbeit und Verpflichtungen. »Clara wird zu sehr missbraucht und muss zu viel spielen«, schrieb Friedrich Wieck ins gemeinsame Tagebuch. Trotzdem tat er nichts, um diese Überlastung zu verhindern. Jeder Besucher von Rang wurde vorgelassen, keine Einladung bei den führenden aristokratischen Familien abgelehnt.
    Da die meisten Wiener Musikliebhaber sich nicht nur auf den Besuch eines von Claras Konzerten beschränkten, musste Abwechslung geschaffen werden, indem Clara für jede Aufführung mehrere neue Stücke einstudierte. Von keinem anderen Künstler wurde erwartet, dass er alles auswendig spielte, doch das »Pianowunder Clara Wieck« hatte sein Publikum von Anfang an verwöhnt. Zu Beginn galt es noch als Sensation, dass sie nicht nur ihre eigenen Stücke ohne Noten spielte, sondern auch die Werke anderer Komponisten. Schnell aber wurde diese Leistung eineSelbstverständlichkeit, und es wäre als Rückschritt betrachtet worden, hätte sie sich plötzlich auf Noten gestützt.
    Zu allem Überfluss gierte man noch nach neuen Werken und forderte Clara ständig zum Komponieren auf. Clara seufzte und gehorchte. An den wenigen Abenden, die sie zu Hause verbringen konnte, schrieb sie ein ungarisches Rondo und das »Souvenir de Vienne«, ein Impromptu, das die Kaiserhymne von Joseph Haydn abwechslungsreich variierte. Die Wiener waren entzückt über diese Aufmerksamkeit. Eine ganze Stadt war in ein achtzehnjähriges Mädchen verliebt. Man schloss Clara in die Arme und drückte sie und wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass man sie dabei fast erdrückte.
2
    Der kleine Russe funktionierte. Er tat seine Pflicht und ließ sich dafür umschwärmen. Wo Clara auftauchte, drängte sich augenblicklich eine Schar junger Männer um sie, ihre »Courmacher«,

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