Das Maedchen am Klavier
wie Friedrich Wieck sie bezeichnete. Der Anklang, den sie bei den Herren fand, schmeichelte ihm und beunruhigte ihn zugleich. Doch trotz seiner begrenzten Kenntnis des weiblichen Seelenlebens mutmaßte er, dass es einem achtzehnjährigen Mädchen recht angenehm war, ein wenig verhätschelt zu werden. Außerdem hatte sich bisher noch keiner der Verehrer aus der fröhlichen Runde hervorgetan und Claras Gemüt in Gefahr gebracht. Friedrich Wieck wusste nicht recht, ob es letzten Endes gut war oder schlecht, aber seine Tochter liebte anscheinend »das Somnambule«. Ein Glück, dass der Herrscher in diesem Reich der Fantasie derzeit so fern war, dass man sich als pflichtbewusster Vater nicht zu sorgen brauchte. Bisher jedenfalls, so meinte Friedrich Wieck, hatten weder Clara noch Robert Schumann von seiner vorschnellen Erlaubnis Gebrauch gemacht, miteinander zu korrespondieren, während Clara auf Tournee war.
In misstrauischen Momenten erinnerte sich Friedrich Wieckallerdings daran, dass ihn sein Clärchen in Dresden schmählich getäuscht hatte, um sich mit ihrem Galan zu treffen. Doch damals hatte der Vater sie allein zurückgelassen. Hier in Wien aber stand sie fast ständig unter seiner Aufsicht, und auch Nanni würde kein zweites Mal wagen, ihn zu hintergehen. Trotzdem sollte eine Korrespondenz zwischen Wien und Leipzig nach Kräften erschwert werden. Ihre Bleistifte musste er Clara lassen, denn die brauchte sie für ihre Notizen. Auch ihre Schreibfedern rührte er nicht an. Die Tinte aber konfiszierte er. Wenn er abends allein aus dem Haus ging, kontrollierte er danach den Inhalt des Tintenfasses und überlegte sogar, ob er Claras Papiervorrat abzählen sollte. »Ich vertraue dir, mein liebes Kind«, sagte er einmal zu ihr, obwohl ihm bewusst war, dass dies der Wahrheit in keiner Weise entsprach.
Was Friedrich Wieck nicht wusste, war, dass die verdächtige Korrespondenz inzwischen bereits reibungslos ablief, wenn auch begleitet von einer ständigen Angst vor Entdeckung. Claras Briefe wurden von Nanni beim Postamt abgegeben, wobei Nanni versuchte, sich möglichst unkenntlich zu machen, damit man sich im Entdeckungsfall nicht an sie erinnerte. Robert Schumann verschickte seine Briefe postlagernd mit chiffrierten Adressen. Auch er fürchtete, Friedrich Wieck könnte bei den Postämtern nachforschen.
»Welche Tyrannei!«, schrieb er an Clara, in deren hingekritzelten Nachrichten immer wieder die Bemerkung auftauchte, sie müsse in ihrer Kammer und mit Bleistift schreiben. »Jede Minute erwarte ich Vater, darum dieses fürchterliche Gekrakel.« Ein andermal stand da: »Nimm mir nicht übel, dass ich so schlecht geschrieben habe, doch stell dir vor, dass ich stehe und das Briefblatt auf der Kommode liegt. Bei jedem Eintunken ins Tintenfass laufe ich in die andere Stube.« Clara konnte es selbst kaum glauben: Vor tausend Menschen trat sie strahlend hin und spielte ohne Angst auf dem Klavier wie ein Engel. Vor ihrem Vater aber, an dessen Liebe sie nicht zweifelte, zitterte sie und verleugnete ihren Stolz.
Die Briefe, die Clara mit ihrem heimlichen Verlobten tauschte, waren die andere Seite ihrer glanzvollen Welt – die im Schatten liegende, vom Vater unerwünschte, versteckte Seite, zu der sie jedes Mal voller Sehnsucht zurückkehrte und die sie plötzlich alles andere vergessen ließ. Das Leben mit ihrem Vater war die Gegenwart: fordernd, anstrengend und berauschend. Stattdessen versprach ihr Robert Schumann die Zukunft: ein eheliches Leben voller Zärtlichkeit und Hingabe, vielleicht in einem kleinen Häuschen am Rande seiner Heimatstadt Zwickau: »Das wird ein rechtes Dichter- und Blütenleben«, schwärmte er. »Wie die Engel wollen wir zusammen spielen und dichten und den Menschen Freude bringen.«
In seinen Briefen öffnete er ihr sein Herz. Sie lernte seine Ängste kennen und seine quälende Melancholie. Fast körperlich glaubte sie zu spüren, wie er sich an sie klammerte, um nicht in ein unabsehbares Nichts zu stürzen. »Du weißt kaum, wer ich bin«, klagte er. »Manchmal könnte ich aufschreien vor lauter Schmerz.« Clara las es und dachte an die Spaziergänge, die sie als Kind mit ihm gemacht hatte. Damals hatte sie ihn gewarnt, damit er nicht stürzte, und dann war sie selbst hingefallen. Ja, er brauchte sie wirklich – aber brauchte sie ihn?
Auch sie vertraute sich ihm an, doch bei ihr ging es nicht um Schwermut und Lebensangst. Sie erzählte von ihren Konzerten und ihren Zweifeln bei der Auswahl der
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