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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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wusste.
    Friedrich Wieck antwortete ihr nicht. Er stand auf und machte sich fertig, um sich zum Büro des Grafen Sedlnitzky zu begeben, der die K. K. Censur- und Polizeihofstelle befehligte, von der jede Veröffentlichung und jede Aufführung genehmigt werden musste. Der mächtigste Mann nach Metternich sei der Graf, hieß es überall. Seine Sicherheitsbehörde kontrolliere alles im Staat. Jedes Druckwerk wurde durchforstet und jede Zeitschrift zensiert, ob sie auch keine »revolutionären« Formulierungen enthielten. Freidenkerische Lehrer jagte man aus dem Schuldienst, und an den Universitäten wurde keine Vorlesung gehalten, ohne dass in der letzten Reihe ein unauffälliger Herr aus dem Amt Sedlnitzkys seine Ohren spitzte und sich Notizen machte. Sogar Goethes »Faust« ließ der Graf zensieren und behördengenehm umformulieren. Hätte Goethe in Sedlnitzkys Machtbereich gewirkt, hätte ihm vielleicht Festungshaft gedroht oder das Exil.
    Vor jedem von Claras öffentlichen Konzerten begab sich Friedrich Wieck zu Sedlnitzky, legte Claras Konzertankündigungen vor und wartete auf Genehmigung. Bisher war alles reibungslos abgelaufen. Der Graf erwies sich als charmanter Plauderer, der Friedrich Wieck mit Artigkeiten über das »begabte Fräulein Tochter« schmeichelte. Fast freundschaftlich ging er mit dem Impresario um, sodass sich dieser in Sicherheit wiegte.
    Erst mit Claras Ernennung zur K. K. Kammervirtuosin kühltesich das Klima schlagartig ab. Es war offensichtlich, dass sich der Graf übergangen fühlte. »Andere Fäden als die üblichen« seien gezogen und Amtswege nicht eingehalten worden, deutete er an. Friedrich Wieck spürte sofort, dass ihm plötzlich ohne eigenes Zutun ein mächtiger Feind erwachsen war.
    »Ihr Fräulein Tochter erregt überall Aufsehen«, sagte der Graf und lächelte ohne Freundlichkeit. »Gleich als Sie beide nach Wien kamen, brach der Clara-Krieg aus. Nicht weiter schlimm. Es mag paradox erscheinen, aber ein bisserl Aufregung beruhigt die Gemüter der Masse. Nun aber erwarten wir die Ankunft des nächsten Pianisten: Franz Liszt, der hier zwei Konzerte geben möchte. Eines für die überschwemmte und zerstörte Stadt Pest, das andere zur Abdeckung seiner Reisekosten.«
    Sedlnitzky stand auf und trat ans Fenster. Beflissen erhob sich auch Friedrich Wieck und wartete, bis sich der Graf wieder gesetzt hatte. »Zwei Klavierspieler in einer Stadt – das ist immer prekär«, fuhr Sedlnitzky fort. »Wir wollen keinen zweiten ›Clara-Krieg‹ und auch keinen ›Liszt-Krieg‹.« Inzwischen war alle Verbindlichkeit aus seiner Miene verschwunden. »Mit einem Wort, Herr Impresario, ich denke, Sie sehnen sich nach Ihrer schönen Heimatstadt Leipzig zurück. In Wien waren Sie lange genug.« Und dann mit einer Schärfe, die Friedrich Wieck zusammenzucken ließ: »Ich würde Ihnen nicht raten, sich noch einmal durch die Hintertüre vorzudrängen. Protektion an mir vorbei mag einmal funktioniert haben, ein zweites Mal könnten Sie es bereuen. Ihre Majestät hat ein großes Herz für die Kunst, aber ganz bestimmt kein Interesse daran, das Ansehen meines Amtes zu beschädigen.« Damit erhob er sich und trat wieder ans Fenster, ohne sich von Friedrich Wieck zu verabschieden.
    Durch sonnenbeschienene Straßen fuhr Friedrich Wieck zu seinem Domizil zurück. Fast über Nacht war der Frühling gekommen. In den Parks fing es an zu blühen, und die Damen kleideten sich auf einmal in wunderbar bunte Roben.
    So viel Glück hatte Friedrich Wieck in dieser Stadt erlebt, so viele Hoffnungen hatte er sich gemacht. Doch er war wohl zulange geblieben. Mochte das Publikum Clara auch immer noch lieben – der nächste Rivale war bereits in Venedig aufgebrochen und näherte sich Wien. Ein neuer Nervenkitzel für die verwöhnten Musikfreunde und vielleicht sogar die Lust, den Stern, den man so hoch steigen ließ, wieder sinken zu sehen. »Das Wiener Publikum kann gnadenlos sein«, hatte Alfred von Schönburg einmal gewarnt. Damals hatte sich Friedrich Wieck nicht vorstellen können, in dieser Stadt jemals unglücklich zu sein. Nun aber hatte sich der Fürst zurückgezogen, und Clara blieben als Erinnerung an seine Aufmerksamkeiten nur noch seine kostbare Uhr und ein klangvoller Titel, mit dem sie sich immerhin ein Leben lang würde schmücken können.
    Die Freude war von ihnen gewichen. Nur ein paar letzte Verbindlichkeiten, die sie eingegangen waren, hielten sie noch in Wien zurück. Nie zuvor war Clara so deutlich

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