Das Maedchen am Klavier
abtrete?«, fuhr er Clara an, mit der er sonst kaum noch sprach. »Du hast kein Recht, mich einfach zu verlassen. Du bist nicht nur meine Tochter. Auch künstlerisch bist du mein Geschöpf. Ohne mich wärst du nichts. Tausende Stunden habe ich dich unterrichtet. Jahrelang war ich nur für dich da. Und trotzdem willst du einfach davonrennen und alles aufgeben für diesen sogenannten Fantasiemenschen, der mir schon vor Jahren schwor, er werde eine Symphonie komponieren, die eines Beethoven würdig wäre. Wo ist sie denn nun, diese Symphonie? »Kinderszenen« hat er geschrieben, während wir in Wien waren! Niedliche Werkchen, die heute ja recht erfolgreichsein mögen, aber morgen vergessen sind. Und genau wie mit seiner großartigen Symphonie verhält es sich auch mit seinen Finanzen. Als er um deine Hand bat, sagte ich ihm, er dürfe erst wieder vorsprechen, wenn er mir garantieren könne, dass er dir ein Jahreseinkommen von mindestens zweitausend Talern bieten werde. Nun, bis jetzt ist er nicht wieder aufgetaucht. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass du immer noch nach ihm schmachtest.« Und dann, mit einem Blick nicht nur ohne Liebe, sondern fast schon mit Hass: »Nie werde ich dir verzeihen, dass du den Fürsten vertrieben hast, womöglich sogar wegen dieses Versagers, der kein deutliches Wort herausbringt!«
Er bestrafte Clara mit Schweigen, was für ihn wohl leichter zu ertragen war als für sie, denn der Reingewinn der Wiener Tournee war enorm und erlaubte ihm, seine Klavierfabrik weiter auszubauen und den Überschuss gewinnbringend anzulegen. Clara selbst sah nicht viel von all dem Geld. Noch immer war sie die Tochter, die nie gelernt hatte, sich gegen den Vater offen aufzulehnen.
Aber auch Friedrich Wieck selbst litt. Kein Tag verging, ohne dass er meinte, die Nervenschmerzen zerrissen sein Gesicht, und zum Essen musste er sich zwingen. Trotzdem nahm er gleich nach der Rückkehr seine abendlichen Einladungen wieder auf. Auch Clara rief er dazu, legte wie der stolzeste aller Väter den Arm um ihre Schultern und erzählte so begeistert von ihren Wiener Erfolgen, dass sie schon meinte, er wäre versöhnt. Doch wenn die Gäste aus dem Haus waren, wandte er sich wieder von ihr ab oder erinnerte sie sogar daran, dass er ihre Brüder aus der väterlichen Fürsorge verstoßen hatte und dass ihr das Gleiche blühen konnte.
»Immerhin bin ich es, die ans Klavier muss!«, wagte Clara einmal aufzubegehren. Da sah er sie lange an und wartete, dass sie eingeschüchtert wegschaute. Doch diesmal hielt sie seinem Blick trotzig stand. Eine Ewigkeit verging, bis diesmal er aufgab.
Am nächsten Abend aber sagte er ganz nebenbei, er habe Nanni entlassen. Das Maß sei voll. Sie habe ihn hundertmal hintergangen. Trotzdem habe er ihr eine Stellung bei einem LeipzigerJunggesellen vermittelt. Kokett, wie sie sei, werde ihr das wahrscheinlich sogar gefallen.
Erst jetzt fing Clara an zu weinen. Dabei wusste sie schon gar nicht mehr, ob sie aus Mitleid mit Nanni weinte oder weil sie nun niemanden mehr hatte, der ihre heimlichen Treffen mit Robert Schumann vermittelte. Wie oft war Nanni aus dem Haus geschlichen und zu Robert Schumanns Wohnung gelaufen, um ihm auszurichten, wann und wo ihn Clara das nächste Mal treffen könne. In so vielen Städten hatte sie Claras Liebespost aufgegeben oder abgeholt, obwohl sie stets fürchten musste, von Friedrich Wieck überwacht und überführt zu werden. Fast jedes Geheimnis hatte Clara ihr anvertraut. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass Nanni wie eine Freundin für sie gewesen war. Und doch auch immer nur ein Hausmädchen, eine kleine Zofe bestenfalls, die der Sächsischen Gesindeordnung unterworfen war, in der erlaubt wurde, sie ohne Angabe von Gründen einfach fortzuschicken. Ein Mensch zweiter Klasse, obwohl sie aufgeweckt und hübsch war und zu jeder Arbeit bereit.
Clara Wieck und Robert Schumann: beide in Leipzig und doch Welten voneinander entfernt. Hero und Leander, die nicht zueinander kommen konnten. Da Nanni nicht mehr zur Verfügung stand, um die Liebesbotschaften auszutauschen, mussten sie sich darauf verlassen, dass sie einander zufällig über den Weg liefen. Nie ging Clara aus dem Haus ohne ein Zettelchen, auf dem sie einen Treffpunkt vorschlug. Wenn sie sich dann begegneten, steckten sie einander verstohlen ihre Briefchen zu. Es bürgerte sich ein, dass Robert Schumann jeden Morgen kurz vor zehn am Haus in der Grimmaischen Gasse vorbeispazierte und hoffte, dass ihm Clara aus
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