Das Maedchen am Klavier
brach herein, eine milde Sommernacht unter einem zunehmenden Mond. Das Konzert der Grillen übertönte das Rauschen der Seine, die man kaum noch sehen konnte. Nur hin und wieder glitzerte ein Wellenkamm auf und verschwand gleich wieder im samtigen Dunkel.
»Ihr braucht euch um nichts zu kümmern«, entschied Emilie leise. »Ihr packt einfach eure Koffer. Den Rest besorge ich. Monsieur Erard wird das Klavier abholen lassen. Danach fahre ich wieder nach Paris zu meinen Eltern.«
»Ich komme bestimmt bald zurück«, versprach Clara. »Vielleicht sollten wir unsere Wohnung hier noch gar nicht aufgeben.«
Emilie umarmte sie. »Der Sommer wird vorbei sein, bis du wieder da bist«, sagte sie traurig und küsste Clara auf die Wange. »Vielleicht bist du auch nicht mehr allein, wenn du dein großes Konzert gibst. Vielleicht haben wir ja eigentlich allen Grund zur Freude.« Sie fing an zu weinen. Ein Lebensabschnitt ging zu Ende. Unwiederbringlich. Was danach kam, mochte besser sein oder schlechter. Auf jeden Fall aber würde es anders sein, mit neuen Aufgaben und neuen Menschen, die ihr Recht einforderten. »Ich möchte dich nicht verlieren, Clara!«, flüsterte Emilie.
Clara drückte sie an sich. »Das wirst du nicht, Mila«, gelobte sie sanft. »Ganz bestimmt nicht. So viele Jahre haben wir einander nur geschrieben und sind doch Freundinnen geblieben. Auch das, was uns jetzt erwartet, wird uns nicht trennen.«
Zwei Tage später saßen Clara und Henriette in der Kutsche,die sie nach Deutschland zurückbringen sollte. Emilie war auf die Straße herausgetreten und winkte ihnen nach.
Mila!, dachte Clara und winkte zurück, obwohl es dafür inzwischen bereits zu spät war. »Sie war die einzige Freundin, die ich als Kind hatte«, sagte sie zu Henriette.
Henriette senkte den Blick. »Ich hätte dich auch gern als richtige Freundin gehabt«, gestand sie. »Aber ich glaube, wenn man so ist wie wir beide, kann man sich höchstens mit jemandem anfreunden, der ein ganz anderes Leben hat. Verstehst du, was ich meine?«
Clara nickte. Sie dachte an Robert Schumann, den sie seit fast einem Jahr nicht gesehen hatte, und versuchte, sich sein Gesicht vorzustellen. Es gelang ihr nicht.
Wiedersehen mit Robert Schumann
1
So viel Liebe hatte sich Clara erhofft nach den langen Monaten der Trennung und nach den unzähligen Schreiben voller Anbetung und Sehnsucht! Wie hatte sich Robert Schumann in seinen Briefen gewünscht, sie zu umarmen und zu küssen, ihr zärtliche Worte ins Ohr zu flüstern und mit sanften Fingern über ihren Nacken zu streichen und über ihren Hals! Meine süße Zilia, meine Königin, meine Herzensclara!
Immer wieder hatte sie seine Worte gelesen und vor dem Einschlafen leise wiederholt wie ein Versprechen an die Zukunft, das ihr die Gegenwart versüßen sollte. Gar nicht genug konnte sie bekommen von seinen Schwüren. Ihr war, als erlebe sie all das Wundervolle, Bezaubernde schon jetzt, während draußen, nicht weit von ihrem Fenster, der nächtliche Strom vorbeiglitt und mit seiner vielschichtigen Stimme untermalte, was sie fühlte. Noch am nächsten Morgen erinnerte sie sich an ihre Träume und versuchte, nicht an die Enttäuschung zu denken, weil sich die große Liebe immer nur auf dem Papier abspielte und die überwältigende Leidenschaft nur ein Wort war, das in der Realität keine Erfüllung fand.
»Ich sehne mich nach Dir!«, schrieb sie dann und hoffte dabei, dass er nicht nur ihre Worte verstand, sondern genau wusste, was sie damit meinte – welchen Mangel, welchen Schmerz und welchen unerträglichen Drang, endlich zu erleben, was sich ihr Körper wünschte. Ich sehne mich nach Dir! – Ein junges Mädchen von zwanzig Jahren, voller Leben und voll der Leidenschaft,die durch die Hingabe an die Musik längst erweckt und täglich vertieft worden war.
»Ich sehne mich nach Dir!«, schrieb auch er. Sie dachte, wenn er nur halbwegs so fühlte wie sie, müsste er längst vor ihrer Tür stehen und diese notfalls mit Gewalt aufbrechen, wenn sie verschlossen war. »Ich komponiere den ganzen Tag, so sehr beflügelt mich die Sehnsucht«, fügte er hinzu und Clara legte enttäuscht den Brief beiseite.
In Altenburg trafen sie einander wieder – ein magischer Ort für Clara, denn dort hatte ihre Mutter sie einst an Johanna Strobel übergeben und damit für immer an den Vater. Ein kleines Mädchen war gelenkig aus einer Kutsche gehüpft und in die nächste geklettert. Schweigend, weil noch nicht alle wussten, dass
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