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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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    Draußen schien nach mehreren Regenstunden die Sonne. Die Luft, die durch das halb geöffnete Fenster hereindrang, war mild und rein. Irgendwo vor der Stadt würde es jetzt wohl einen Regenbogen geben, dachte Clara. Sie sehnte sich plötzlich nach Weite und nach einem Blick bis an den Horizont. »Wollen wir nicht spazieren gehen?«, fragte sie.
    Robert Schumann lachte. »Ich habe gar nicht mehr daran gedacht, wie gern du ständig herumläufst«, sagte er und küsste sie auf die Wange.
    Da nahm Clara sein Gesicht zwischen ihre Hände und fing an, ihn mit ihren Lippen zu liebkosen. Nur widerstrebend ging er darauf ein. »Ist das der Mann mit dem schlimmen Ruf als Frauenheld?«, fragte Clara, ohne ihn freizugeben. »Wie hast du all die hübschen Ehefrauen und die netten Kellnerinnen verführt, wenn du immer nur den Kopf weggedreht hast?«
    »Das war etwas anderes«, murmelte er, undeutlich, weil sie ihn so bedrängte. »Dich will ich heiraten.«
    »Und deshalb soll ich fasten und büßen?«
    Wieder lachte er, diesmal aber ohne Anspannung, einfach nur als ein junger Mann von neunundzwanzig Jahren, der mit seiner Braut allein war und sie liebte. »Eine gewisse Grenze muss es allerdings noch geben«, bestimmte er. »Sonst kannst du mich womöglich im Gefängnis besuchen. Wer weiß, was deinem Vater noch alles einfällt.«
    Da nickte Clara. »Da ist dann die ›Schnecke‹ wohl doch besser«, lachte sie. In diesem Augenblick wäre sie mit jeder Bedingung einverstanden gewesen, weil sie glücklich war, endlich bei ihm zu sein, und weil die Hoffnung bestand, dass all das Fasten und Büßen bald ein Ende hatte.
    Drei schöne Tage in Altenburg. Zum ersten Mal standen sie einander auf Augenhöhe gegenüber. Clara war nicht mehr das halbe Kind, dem die neun Jahre fehlten, die ihr Robert Schumann an Erfahrung voraushatte. Sie war eine junge Frau, die sich in die Welt hinausgewagt und diese Herausforderung gemeistert hatte. Sie hatte sich Respekt verschafft, Bewunderung erregt, Rivalitäten bestanden und sich damit abgefunden, dass ihr der Erfolg wahrscheinlich eine erkleckliche Anzahl von Neidern und Feinden eingebracht hatte. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass Männer sie begehrten und dass auch sie Wünsche und Begierden hatte, die sie bisher fast nur in ihrem ausufernden Briefwechsel mit Robert Schumann ausgelebt hatte. Kurz gesagt, Clara Wieck war nicht nur kein Kind mehr, sondern hatte auch die Zwischenwelt danach längst durchschritten. Sie war erwachsener als so mancher, der doppelt so alt war wie sie selbst. Sie konnte beurteilen, was das Wort eines Menschen wert war und was sie selbst weiterbrachte oder sie bremste.
    Robert Schumann, der sie so lange nicht gesehen hatte, war erstaunt über ihre unbefangene Reife. Er hatte das Gefühl, während der Trennung hinter ihr zurückgeblieben zu sein. Zugleichflößte ihm ihre Stärke Mut ein, als wäre Clara die Mutter, die seine eigene nie gewesen war.
    Wie unzufrieden Christiane Schumann durchs Leben gegangen war! Wie kindlich sie sich über alles beklagte, was ihr Mühe bereitete oder in irgendeiner Weise von ihren Idealvorstellungen abwich! Immer hatte sie dabei die Schuld bei anderen gesucht, zumindest bei den Umständen ihres Lebens. Die aber führte sie stets auf ihren Gatten zurück, der sich die meiste Zeit in der Studierstube vergrub, ein Sachbuch nach dem anderen verfasste, über Themen, die Christiane nicht interessierten; der als Verleger zwar angesehen und auch recht erfolgreich war, immer aber noch nicht genug, um seiner Gattin das elegante Leben zu bieten, das sie sich wünschte.
    Nur wenn sie sang, war sie glücklich. Nie würde Robert Schumann ihre süße Mädchenstimme vergessen, die nicht alterte, so wenig wie Christiane Schumanns Charakter. Ein ewiges Kind, liebenswürdig und schmollend, äußerlich mitfühlend und innerlich ständig unzufrieden und klagend.
    Nie hatte sich Robert Schumann ihr anvertrauen können. Dabei plauderten sie gerne miteinander: über die letzten Konzerte und deren Besprechungen in der Presse, über den neuesten Klatsch aus der Kunstszene oder über einzelne Bücher, die im Gespräch waren. Zu mehr aber reichte das Vertrauen zwischen ihnen nicht, vielleicht auch nicht Christianes Intelligenz.
    Dabei hätte er ihre Zuwendung so dringend gebraucht! Nach dem Freitod seiner Schwester dachte er ständig an die eigene Endlichkeit. Fast noch mehr aber fürchtete er sich davor, den Verstand zu verlieren. Es wäre ihm unerträglich

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