Das Maedchen am Klavier
habe keine Angst!, dachte sie, während sie zugleich begriff, dass sie allen Grund hatte, sich zu fürchten.
»Robert Schumann ist ein anständiger Mensch«, versicherte sie in fast flehendem Ton. Sie wünschte sich so sehr, dass Pierre Erard eine hohe Meinung hatte von dem Mann, den sie liebte.»Er ist voller Ideale und sehnt sich danach, in jeder Hinsicht einfach nur gut zu sein.«
Pierre Erard hielt noch immer Claras Hand. »In Ihrem Interesse hoffe ich, dass Sie mit Ihrer Einschätzung recht haben.« Seine Stimme klang so sanft wie sonst nie. »Vielleicht ist er wirklich der gutwillige Träumer, für den Sie ihn halten. Deutsch. Durch und durch deutsch, so wie Sie selbst es auch sind. Eine Französin würde sich in Ihrer Lage fragen, ob ihre Liebe auch so unermesslich wäre ohne den Widerstand des Vaters und ohne die räumliche Trennung von ihrem Geliebten.«
Clara befreite ihre Hand. »Lieben die Französinnen denn nicht?«
»Doch. Aber sie denken praktischer als ihr romantischen Germanen.«
Unwillkürlich musste Clara an die Revolte in den Pariser Straßen denken und daran, wie die Aufrührer danach erschöpft und unverrichteter Dinge wieder nach Hause gegangen waren, wohl wissend, dass es ein nächstes Mal geben würde und immer so fort, vielleicht ohne Ende. »Romantisch sind wir wohl alle«, antwortete sie. »Wir sind es nur in verschiedenen Bereichen.«
Pierre Erard blickte sie erstaunt an. »Sie haben sich verändert, Clara«, sagte er. »Ich habe ein junges Mädchen kennengelernt, das wie ein Wirbelsturm in die Welt hinausgefegt ist. Nun merke ich, wie viel Sie dazugelernt haben. Ich freue mich darauf, mich in zehn Jahren mit Ihnen zu unterhalten.«
Da lächelte Clara und atmete ein wenig auf. »Auch in der Zwischenzeit werden wir uns hoffentlich sehen«, antwortete sie und wandte sich um.
Ein Diener eilte herbei und öffnete ihr das Haustor.
Während sich Clara noch voller Eifer auf ihr Konzert im Dezember vorbereitete, musste sie erkennen, dass Pierre Erard recht behielt. Friedrich Wieck und Robert Schumann kämpften um sie und keiner war bereit, nachzugeben.
Ihr Vater ließ sich von Robert Schumanns Aktivitäten nicht imGeringsten beeindrucken. Als ihm Robert Schumann eine Abschrift von Claras Vollmacht zukommen ließ, zeigte Friedrich Wieck keine Reaktion. Nur Clara merkte, dass er ihren Schritt zur Kenntnis genommen hatte, denn von nun an beantwortete er keinen ihrer Briefe mehr. Immer wieder schrieb sie an ihn, um ihn zum Einlenken zu bewegen. Wie schön wäre es doch, dachte sie, würde er sie in Paris besuchen. Sie sehnte sich danach, ihm vorzuspielen und sein Urteil zu hören. Der beste aller Lehrer war er immer für sie gewesen, unbestechlich und streng, wie sie es brauchte und wollte. »Mir unterlaufen immer wieder ein paar kranke Töne, die ich nicht loswerde«, schrieb sie ihm. »Willst Du nicht doch herkommen und ein Auge auf mich haben?«
Doch sosehr sie auch flehte und wartete, sosehr wurde sie enttäuscht und auch Robert Schumann ging auf ihre Einladungen nicht ein. »Meinem Robert war die Reise hierher schon immer zu beschwerlich«, klagte sie Emilie ihr Leid. »Was habe ich auf ihn gewartet! Und jetzt, wo ich mich offen zu ihm bekenne und seinetwegen meinen Vater brüskiert habe, kommt er trotzdem nicht. Irgendwie bin ich allein auf der Welt und habe von keinem mehr etwas.«
Doch dann, genau einen Monat nach ihrer Vollmachtserklärung, teilte ihr Robert Schumann mit, sein Anwalt habe nun offiziell beim zuständigen Landgericht in Leipzig eine Appellation eingereicht und um Ehekonsens gebeten. Eine Abschrift der Eingabe legte er bei – fein säuberlich geschrieben, ganz bestimmt nicht von seiner Hand. »Akten in Sachen des Komponisten Robert Schumann und der Kammervirtuosin Clara Wieck, Kläger, gegen den Instrumentenhändler Friedrich Wieck in Leipzig, Beklagter, die verweigerte Einwilligung zur Verehelichung der Kläger betr.«
So sachlich, so trocken und ohne Leben! Zwei feindliche Parteien, die das Machtwort der Behörden brauchten, weil sie allein nicht in der Lage waren, ihr Zusammenleben zu meistern. Von zärtlicher Zuneigung war da die Rede und innigster Hochachtung, von freundlichsten Bitten und entschiedener Verweigerung,von gesicherten Vermögensverhältnissen und von persönlichem Widerwillen ohne jede Veranlassung. »Ganz gehorsamst bitten wir, Herrn Friedrich Wieck zu Erteilung seiner väterlichen Zustimmung zu unserem ehelichen Bund wohlwollend zu
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