Das Maedchen am Klavier
von beiden scheinen Sie zu lieben, auf welche Weise auch immer.«
Clara nahm ein zweites Bonbon, legte es dann aber auf den Tisch zurück. »Ist das so verwunderlich?«, fragte sie. »Der eine ist mein Vater und der andere mein Verlobter.«
Pierre Erard blickte sie mitleidig an. »Und ich bin Ihr Freund, der es einfach gut mit Ihnen meint und der diese Angelegenheit mit Abstand betrachtet.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Allein schon diese Vollmacht ärgert mich. Ich weiß nicht einmal, ob sie vor Gericht standhalten könnte. Wie sollen Sie eine Vollmacht erteilen, wo Sie doch nicht einmal großjährig sind? Ich habe gute Lust, diese Sache prüfen zu lassen.«
Clara fuhr entsetzt auf. »Dazu haben Sie kein Recht, Monsieur!«,rief sie. »Vielleicht kommt mein Vater dadurch zur Besinnung und alles wird gut.«
Pierre Erard lehnte sich zurück. »Alles wird gut?«, fragte er. »Damit meinen Sie, dass Sie als Krönung der Aktion diesen Monsieur Schumann heiraten und ihm als liebevolle Ehefrau sein Nest wärmen wollen. Darf ich fragen, was dann aus der Pianistin Clara Wieck werden soll – Verzeihung: aus Clara Schumann?«
»Mein Verlobter ist ebenfalls Künstler. Er wird verstehen, dass ich meinen Freiraum brauche.« Sie errötete, weil sogar sie selbst an dieser Behauptung zweifelte.
»Und Ihr Konzert im Dezember?«
»Das werde ich nicht versäumen.«
Sie redeten noch lange. Hin und her ging es und Clara wurde immer unsicherer. Zum ersten Mal betrachtete sie ihr eigenes Leben aus dem unvoreingenommenen Blickwinkel eines Außenstehenden.
»Ich will Ihrem Vater nichts Böses unterstellen«, sagte Pierre Erard und versuchte, Clara nicht zu sehr zu verletzen. »Aber in meinem Metier trifft man sie ständig, diese überehrgeizigen Väter oder Mütter, die ihre Kinder von Konzertsaal zu Konzertsaal schleppen, bis sie ausgelaugt und verbraucht sind. Bis dahin aber haben sie pflichtgemäß ihre goldenen Eier gelegt und ihre liebenden Förderer prächtig versorgt. Die genießen dann ein gesichertes Alter, während die einstigen Wunderwesen von einem Partner zum nächsten taumeln, Absinth saufen oder sich aus dem Fenster stürzen.«
Clara zitterte. Sie fror plötzlich. »So ist mein Vater nicht, Monsieur«, widersprach sie. Dabei musste sie gegen ihren Willen daran denken, dass ihr Friedrich Wieck ihr eigenes Capital verweigerte. Er wolle es verzinsen, hatte er zu Robert Schumann gesagt, und es nach fünf Jahren auszahlen – »eventuell«.
Doch Pierre Erard hatte noch nicht zu Ende gesprochen. »Und Ihr sogenannter Verlobter?«, insistierte er. »Dieser junge Komponist, von dem man hin und wieder hört. Ich habe nachgefragt. Er soll begabt sein, hat man mir gesagt, möglicherweise sogarsehr begabt. Doch noch steht er am Anfang. Erlauben Sie deshalb einem französischen Zyniker, ein paar bescheidene Zweifel auszusprechen. Erstens: Wäre es für einen noch wenig bekannten Komponisten nicht recht förderlich, eine berühmte Pianistin zur Frau zu haben? Und zweitens – verzeihen Sie meinen Materialismus! – kämen ihm Ihre fetten Gagen nicht vielleicht doch recht gelegen, zumindest bis er selbst zu Ruhm gelangt ist?«
Clara sprang auf. »Ich kann nicht erlauben, dass Sie so über ihn sprechen, Monsieur!«, rief sie. »Mein Verlobter ist an meinen Gagen nicht interessiert. Im Gegenteil: Am liebsten wäre es ihm, wenn ich nach unserer Hochzeit ganz allein für ihn da wäre.«
Auch Pierre Erard erhob sich nun. »Dann ist es ja noch schlimmer, als ich dachte, meine Liebe«, sagte er mitleidig. »Ein edelmütiger deutscher Romantiker, nicht wahr? Er will eine berühmte Künstlerin und nach der Hochzeit soll sie sein züchtiges Hausweibchen werden. Damit kann er schlagkräftig beweisen, wie sehr er den schnöden Mammon verachtet, ebenso wie den Beifall der Menge!«
Clara lief zur Tür. Bevor sie hinausging, nahm Pierre Erard ihre Hand. »Vielleicht tue ich ihnen unrecht, Ihren beiden wackeren Rittern«, gestand er ein. »Wenn ja, verzeihen Sie mir bitte. Ich sehe nur die Oberfläche und weiß nicht, was darunter vorgeht. Denken Sie trotzdem über meine Worte nach. Machen Sie sich klar, dass Sie in der gleichen Lage sind wie eine reiche Erbin: Sie können nie wissen, ob man Sie um Ihrer selbst willen liebt oder wegen Ihres Talents. Talent ist wie Gold, und Gold erweckt Begierden. Passen Sie auf sich auf, Mademoiselle, und trauen Sie niemandem!«
Clara spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Ich
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