Das Maedchen am Klavier
es auf einmal sprechen konnte. Ein Abschied von der Mutter, ohne Bedauern oder Schmerz. Clara Wieck mit dem schönen schwarzen Haar wusste bereits, wo ihr Platz war. Als sich die Kutsche in Bewegung setzte, hatte das Kind die weinende Mutter schon vergessen.
Robert Schumann hatte Claras Reise von Paris bis zu ihrem Treffpunkt penibel erfragt und durchdacht. »Wenn Du am Montag, den 12. in Paris abreist, kommst Du am Mittwoch abends oder nachts in Frankfurt an. Am Donnerstag kannst Du Dich dann ausruhen. Vergiss aber nicht, Dich für Donnerstagabend auf der Schnellpost bis Naumburg einschreiben zu lassen. Dort triffst Du am Sonntagabend ein und nimmst Dir am nächsten Tag am besten einen Lohnwagen. Ich habe mich erkundigt, liebe Clara: Du musst unbedingt mit dem Kutscher aushandeln, dass er die Kosten für Futter und Chausseegeld selbst zu übernehmen hat. Denk immer daran, dass er auf jeden Fall versuchen wird, Dich übers Ohr zu hauen. Am frühen Abend kommst Du in Altenburg an. Im Gasthof ›Stadt Gotha‹ ist ein schönes Zimmer für Dich reserviert. Dort findest Du auch meine Nachricht, wie es weitergehen soll.«
Auf der nächsten Seite folgten ausführliche Ratschläge, wie Clara die gefährliche Reise ohne bleibende Schäden überstehenkonnte: »Trink Wasser nur mit Wein vermischt. Trink auch kein Bier und keine Milch. Ich habe meinen Arzt Dr. Reuter gründlich befragt. Er sagt, das beste Getränk auf Reisen ist ein Kaffeelöffel Brausepulver in Wasser mit Wein. Das hilft gegen die Erhitzung und gegen das Schütteln beim Fahren.«
Zuletzt stand dann in kaum noch leserlicher Schrift: »Vergiss nicht, mein Clärchen, dass die Stadt Stuttgart Gift für Dich ist, und Gift soll man meiden. Denk an den unseligen Plagiator und Schmieranten Dr. Schilling! Er könnte bestimmt nicht widerstehen, sich wieder an Dich heranzumachen. Deine Schülerin Henriette wird auch ohne Dich nach Stuttgart zurückfinden. Am besten, Ihr trennt Euch bereits in Frankfurt. Du weißt, wie die Eifersucht Deinen Ergebenen packen kann. Mord und Totschlag könnten die Folge sein.«
Immer wieder las Clara diesen Brief, in dem ihr lieber, lieber Robert zum ersten Mal sein praktisches Talent entfaltete. Seine Fürsorge rührte sie und brachte sie gleichzeitig zum Lachen, weil es so wenig zu ihm passte. Doch so wie er in diesem Brief gingen andere Männer wohl meistens mit ihrer Liebsten um, dachte sie, und dieser Aspekt einer Beziehung gefiel ihr.
Drei Tage verbrachten sie gemeinsam in Altenburg. Schöne Tage, friedliche Tage, wenn auch ganz anders, als Clara es erwartet hatte. Als sie in ihrem Gasthof ankam, wartete Robert Schumann bereits seit Stunden auf sie. Sofort eröffnete er ihr aber, dass er selbst nicht in der »Stadt Gotha« wohne, sondern in einem Haus, das sich »Zur Schnecke« nannte.
Clara, die es während der letzten Reisestunden vor Aufregung und Vorfreude kaum noch ausgehalten und sich wie ein stürmisches Kind in seine Arme geworfen hatte, trat ernüchtert einen Schritt zurück. »Du wohnst nicht hier im Haus?«, fragte sie ungläubig und erwartete, dass er laut auflachte und ihr sagte, das sei natürlich nur ein Scherz gewesen. Wenn es ihr recht sei, würde man nicht nur im selben Gasthof logieren, sondern sogar im selben Zimmer. Nach all der Sehnsucht und dem Warten wäresie nicht nur einverstanden gewesen, sondern geradezu glücklich.
Robert Schumann merkte, wie enttäuscht sie war. »Meine geliebte Clara«, sagte er sanft und zog sie neben sich auf das schmale Sofa. »Du kommst aus Paris, wo die Sitten weniger streng sind als bei uns. Hast du aber bedacht, dass wir in ein Gerichtsverfahren verwickelt sind, das uns angreifbar macht? Wenn dein Vater nicht nachgibt, müssen wir vielleicht vor dem Richter Rede und Antwort stehen, ob wir den Regeln des Anstands auch immer gefolgt sind. Was sollen wir dann sagen, wenn offenkundig ist, dass wir bereits zusammengelebt haben?«
Clara antwortete nicht. Es klopfte an der Tür. Der Hausdiener brachte ihr Gepäck. Robert Schumann steckte ihm ein Trinkgeld zu, ein sehr großzügiges Trinkgeld, wie Clara mit einem verstohlenen Seitenblick bemerkte. Schon als Robert Schumann das erste Mal in die Grimmaische Gasse gekommen war, hatte er damit das Missfallen ihres Vaters erregt. Wie lange das schon her war! Irgendwann einmal in all den Jahren hatte sie sich in ihn verliebt. Ein Kind war sie damals noch gewesen, aber auch Kinder verliebten sich. Und immer noch sollte sie
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