Das Maedchen am Klavier
veranlassen, in deren Entziehung aber diese Einwilligung anstatt seiner uns hochgnädigst zu erteilen.«
Robert Schumann, der einstige Student der Rechtswissenschaft, mochte sich in einer solchen Sprache zu Hause fühlen. Die kleine Volksschülerin Clara Wieck aber – drei Jahre verkürzter Unterricht – kam sich dabei fremd und verloren vor. Sie wollte nicht vor Gericht gehen und sie wollte diesen Schritt auch ihrem Vater nicht zumuten. Eigentlich wäre sie schon zufrieden gewesen, wäre alles so geblieben, wie es jetzt war.
Doch dafür war es bereits zu spät. Die Justizmaschinerie des Hohen Königlichen Appellationsgerichts war angelaufen und würde nicht eher zum Stillstand kommen, bis eine Entscheidung gefallen war, so oder so.
Trotzdem ließ der weise Gesetzgeber noch ein gnädiges Hintertürchen offen. Da es sich ja eigentlich nur um eine Familienangelegenheit handle, die die öffentliche Sicherheit nicht beeinträchtige, forderte das Gericht die Parteien erst noch zu einem »Vereinigungsversuch« auf, einem »Sühnetermin«, bei dem alle Beteiligten ihren Standpunkt vertreten sollten. Danach würden sie vielleicht bereit sein, sich gütlich zu einigen. Die Anhörung sollte in Leipzig vor dem Bezirkspfarrer stattfinden, dem Archidiakon Fischer. Termin war der 31. August 1839.
»Du wirst verstehen, dass Deine Anwesenheit absolut erforderlich ist«, schrieb Robert Schumann lakonisch und mit festerem Schreibdruck als sonst.
Clara hätte ihm gern geantwortet, ihre Vollmachtserklärung müsse doch eigentlich genügen. Doch wie sollte man miteinander diskutieren, wenn man fünf Tagereisen voneinander entfernt war und die Post meistens sogar noch viel länger brauchte?
Voller Unruhe und Sorge lief Clara aus dem Haus, hinunter zur Seine, die ihr manchmal vorkam wie eine Mutter. Geborgenfühlte sie sich hier und zu Hause. An den Franzosen fand sie oft genug etwas auzusetzen, doch deren Land hatte sie zu lieben gelernt.
Sie setzte sich ins Gras und fing an zu rechnen. Irgendwie musste es doch möglich sein, die vielleicht bald bevorstehende Hochzeit mit ihrem Konzerttermin zu vereinbaren und danach womöglich noch mit einer Tournee nach Holland oder England. Dabei kam es wohl vor allem darauf an, dass Robert Schumann sie unterstützte und Rücksicht auf ihre Pläne nahm.
Je länger sie nachdachte, umso mehr sah sie ein, dass sie sich der Reise nach Leipzig nicht entziehen konnte. Außerdem würde danach ja immer noch ein Vierteljahr bis zum Konzert übrig bleiben. »Ich muss nach Hause«, eröffnete sie deshalb ihren Freundinnen beim Abendessen.
Emilie ließ erschrocken ihr Besteck fallen, doch Henriette atmete auf. »Ich komme mit«, antwortete sie erleichtert. »In Stuttgart steige ich dann aus. Es ist sowieso höchste Zeit für mich, wieder heimzufahren. Außerdem geht mein Geld zu Ende.«
Danach saßen sie noch lange beisammen und versuchten, in die Zukunft zu blicken. Zum ersten Mal gestand Henriette, dass sie sich inzwischen als Pianistin gut genug fühle, um eigene kleinere Konzerte zu bestreiten. »Beethoven«, sagte sie und errötete. »Ich möchte, dass man irgendwann einmal wie von selbst an mich denkt, wenn von seinen Interpreten die Rede ist.«
Clara runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob du schon so weit bist«, wandte sie ein. Es fiel ihr schwer, in der Schülerin plötzlich eine Kollegin zu sehen oder später womöglich eine Rivalin.
Doch Henriette ließ sich nicht beirren. »Ich bin so weit«, erklärte sie. »Das weiß ich.« Ihre Stimme wurde sanft. »Versteh mich nicht falsch, Clara. Ich weiß, dass ich dir dankbar sein muss. Ich habe so viel von dir gelernt. Nicht nur musikalisch, sondern auch das Praktische: Wie man ein Konzert organisiert. Wie man die Finanzen im Gleichgewicht hält. Wie man mit dem Publikum umgeht und mit Förderern wie Monsieur Erard.« Sie senkteden Kopf. »Ich denke schon länger daran, mich selbstständig zu machen. Ich bin ehrgeizig, das weißt du. Die ganze Zeit über ist es mir schwergefallen, immer nur in deinem Schatten zu stehen. Manchmal habe ich dich beneidet und hin und wieder sogar ein wenig gehasst. Kannst du mir das verzeihen?«
Clara erschrak, doch sie zog es vor, auf dieses Thema nicht einzugehen. Für den Augenblick reichten ihr ihre eigenen Probleme. Nur Emilie, die immer genau wusste, was moralisch vertretbar war, setzte zu einem Vortrag über Freundschaft und Selbstlosigkeit an. Doch als ihr niemand antwortete, schwieg auch sie.
Die Nacht
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