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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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gewesen, in der Nähe eines Friedhofs oder einer Irrenanstalt zu wohnen, und wenn er sich länger im Spiegel in die Augen blickte, packte ihn Entsetzen und er wandte sich schnell wieder ab, als sähe er plötzlich einen Doppelgänger, der nach seiner Seele griff.
    Über all diese Ängste sprach er zum ersten Mal mit Clara, während sie Arm in Arm, wie es sich für Brautleute gehörte, spazieren gingen, ohne sich zu verstecken. Sie setzten sich aufeinsame Parkbänke oder tranken Limonade in kleinen Gastgärten. Einmal mieteten sie sich ein Boot, und Robert Schumann bestand darauf, die Ruder zu übernehmen. Immer und immer aber redeten sie, lernten einander kennen und wunderten sich, dass der Gesprächspartner der gleiche Mensch war, mit dem man jahrelang korrespondiert hatte.
    Erst jetzt erkannte Clara, wie tief ihr Verlobter von der Abweisung durch Friedrich Wieck verletzt worden war. »Als ich zu euch kam, dachte ich anfangs, er könnte wie ein Vater für mich sein«, gestand Robert Schumann, und Clara begann zu ahnen, dass es gar nicht immer nur um sie selbst gegangen war. »Ich wollte ihm unbedingt gefallen. Nie hätte ich gedacht, dass er mich einmal so verachten und hassen würde.«
    Ja, diese Verachtung spielte wohl eine bedeutendere Rolle, als Clara es bisher vermutet hatte. Friedrich Wieck genoss es offensichtlich, Robert Schumann damit zu demütigen, während jener davon so tief getroffen wurde, dass er noch mehr als bisher an sich zweifelte. Zu vieles gab es, was er an sich selbst tadelte.
    »Vor unserer Liebe habe ich nicht immer so gelebt, wie ich es hätte tun sollen«, gestand er.
    Clara wusste, wovon er sprach. In manchen Nächten hatte sie nicht aufhören können, über »das Eine« nachzudenken, das so entsetzlich war, dass sie nicht einmal wagte, es sich vorzustellen.
    »Aber das ist doch längst vorbei, nicht wahr?«, fragte sie, während Robert Schumann in den Sonnenuntergang blickte und sich entschloss, ein für allemal reinen Tisch zu machen. Schonungslose Offenheit gehörte zu seinem Idealbild einer Ehe. Keine Geheimnisse sollten das verheiratete Paar voneinander trennen. Alles sollte man vom anderen wissen und alles verzeihen. Was danach zurückblieb, war die reine Liebe für ein gemeinsames Leben bis zum Tode.
    »Manchmal wird man einfach fortgerissen«, gestand er und wandte den Blick ab. Er wollte nun doch nicht mehr weitersprechen, aber jetzt bestand Clara auf einer Erklärung. So erfuhrsie, dass er an seinem neunundzwanzigsten Geburtstag mit dem »sanften kleinen Schmidt« nach Connewitz gewandert war und sich mit ihm unter einem Baum zum Mittagsschlaf hingelegt hatte. Schon eine Stunde später hatte er es bereut und sich mit einigen Sonnenjünglingen, die gekommen waren, um ihm zu gratulieren, in seiner Wohnung mit Wein und Champagner so heftig betrunken, dass einer von ihnen meinte, er sei ein Vogel und könne fliegen. Mit ausgebreiteten Armen habe er sich aus dem Fenster gestürzt und habe bewusstlos von seinen Freunden wieder ins Haus getragen werden müssen.
    »Wer war das denn?«, fragte Clara, die Robert Schumanns Freundeskreis kannte.
    »Es war Herrmann«, sagte Robert Schumann mit dumpfer Stimme. »Kannst du mir verzeihen?« Doch noch bevor Clara antwortete, brach es plötzlich aus ihm heraus, als wären alle Dämme des Selbstschutzes gebrochen: Bei der Taufe des Kindes seiner inzwischen verstorbenen Freundin Henriette Voigt sei er Pate gewesen und sei danach seiner Co-Patin Pauline Butter in einer Kutsche recht nahe gekommen, obwohl dabei in seiner Brusttasche ein Brief knisterte, den ihm Clara aus Paris geschrieben hatte. »Ich schäme mich so!«, gestand er. »Ich frage mich immer wieder, warum ich dir solches Unrecht antue. Vielleicht liegt es daran, dass du ständig deinen Vater verteidigst, der mir so weh tut.«
    »Und anstatt ihn zur Rede zu stellen, rächst du dich an mir?«, fragte Clara und rückte von ihm ab. »Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du an meinen Vater denkst, wenn du dich in einer Kutsche an eine Frau heranmachst.«
    Er legte ihr die Hand auf den Mund. »Von Heranmachen kann keine Rede sein. Es entwickelten sich nur ein paar leise Berührungen, sonst nichts. Pauline sagte, sie könne sich vorstellen, aus Liebe zu sterben. Du weißt doch: So reden Mädchen, wenn sie darauf hinweisen wollen, wie gefühlvoll sie sind.«
    Clara schob seine Hand weg. »Ich weiß gar nichts!«, widersprach sie ärgerlich. »Nicht im Traum käme ich auf einen solchenUnsinn.

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