Das Maedchen am Klavier
Kleidung, ob auch alles sauber genug sei. Wäre der König persönlich angekündigt worden, wäre die Aufregung nicht größer gewesen.
Die Geduld aller wurde auf eine harte Probe gestellt. Stunde um Stunde verstrich, ohne dass sich etwas ereignete. Man fing an, kleine Scherzchen auszutauschen, denn man hoffte bereits, der eitle Wieck sei mit seinen hochfliegenden Plänen hereingefallen. Wie konnte einer, der vom Lande zugezogen war, auch hoffen, einen Bühnenstern aus dem mondänen Italien herbeizulocken? Bestimmt hatte er einen kräftigen Vorschuss ausgelegt. Der würde jetzt wahrscheinlich verloren sein – perduto! –, und der italienische Gaukler würde sich in sein geniales Fäustchen lachen und seinen Spott treiben über den naiven Sachsen, der gemeint hatte, einen wie ihn kaufen zu können.
Die Herren vom Gewandhaus freuten sich besonders. Sie gönnten dem »Klavierlehrer« seine Niederlage. Waren sie nicht geschlossen gegen dieses Projekt gewesen, wohl wissend, dass es mehrere Nummern zu groß für sie war? Sachsen und Italien, das waren fremde Welten, getrennt durch imaginäre Ozeane, obgleich ja wohl klar war, dass man sich selbst wahrlich nicht zu verstecken brauchte. »Wir haben die seriösen Komponisten, die Dichter und die Philosophen«, erklärte man kühl. »Das wilde Gezappel mögen andere für sich beanspruchen.«
Friedrich Wieck litt schlimmer als ein Hund. Seine Gesichtsfarbe wechselte ständig zwischen Dunkelrot und einer fahlen Blässe, dass man meinen konnte, gleich würde er umsinken. Seine buschigen Augenbrauen, die er jeden Morgen sorgfältig bürstete und mit Wasser zähmte, sträubten sich nun wie unter Strom nach vorne. Er rannte vor dem Hotel, in dem man den illustren Gast erwartete, hin und her, sprang ein paar Stufen hoch und dann wieder hinunter, zerbiss sich die Lippen und versicherte den Herren vom Gewandhaus stets aufs Neue, dass der Vertrag mit dem hochverehrten Künstler wasserdicht und »Maestro Paganini«trotz aller Verleumdungen ein verlässlicher Geschäftspartner sei, der seine Verpflichtungen gewissenhaft erfüllen werde. Als Antwort erntete er skeptische Blicke, »Ja, ja«-Gemurmel und eine Schadenfreude, die immer deutlicher wurde, je tiefer sich die Sonne nach Westen senkte.
Es dämmerte schon, da änderte sich plötzlich alles: Räder donnerten durch die Straßen, die Räder mehrerer schwarzer Privatkutschen, die wie die Wilde Jagd in das stille Leipzig einbrachen. Die Menschen in den Häusern stürzten an ihre Fenster und öffneten die Haustore. Nicht einmal in den geschäftigen Zeiten der Messe gab es solchen Lärm.
Für Friedrich Wieck waren es die süßesten Töne. Von einem Augenblick zum nächsten fand er seinen Frieden wieder. Er trat auf die Straße hinaus, während sich am Hoteleingang das Direktorium des Gewandhauses formierte und dahinter das blitzsaubere Hotelpersonal Aufstellung nahm. Auf den ersten Blick erkannte Friedrich Wieck, welche der Kutschen die des ersehnten Künstlers sein musste. Zwischen den schnaubenden, tänzelnden Pferden eilte er darauf zu, während sich die Mitglieder der Entourage mit steifen Gelenken ins Freie drängten. Dann öffnete ein livrierter Bedienter auch die Tür der prächtigsten Kutsche. Friedrich Wieck zitterte vor Aufregung. Am liebsten wäre er hineingeklettert, um seinem – seinem ganz persönlichen! – Gast eigenhändig herauszuhelfen. Von draußen sah er im Halbdunkel einen ganz in Schwarz gekleideten Menschen, der sich aus dem Sitz zwängte und dann das Treppchen herunterstieg. Paganini!, dachte Friedrich Wieck. Paganini!
Dann standen sie einander gegenüber: der kleine Sachse und der noch etwas kleinere Italiener. Beide magerer als der Durchschnitt. Beide zerzaust – der eine von der Aufregung, der andere von der langen Reise in dem engen Gefährt.
Paganini! Fast ein wenig lächerlich sah er aus, ungelenk und irgendwie schief. Trotzdem hätte es für Friedrich Wieck keinen beglückenderen Anblick geben können. »Maestro!«, stieß er hervor und verbeugte sich tief.
Paganini verneigte sich ebenfalls und hielt sich dabei den schmerzenden Rücken. »Buona sera, signore!«, sagte er mit einer knarzenden Stimme.
Friedrich Wieck nickte und strahlte. »Ja!«, jubelte er fast. »Ja, Maestro: buona sera!« Das Herz klopfte ihm vor Freude, als er sah, dass die Augenbrauen seines Idols genauso buschig waren und wirr durcheinanderstanden wie seine eigenen.
Wenn »ausverkauft« bedeutet, dass in einem Konzertsaal
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