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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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wollte das Wunderkind bei sich empfangen. Clara spielte in Privatzirkeln und in öffentlichen Konzerten. Wenn sie danach ins Hotel zurückkam, übte sie weiter an neuen Stücken. »Ihr Gedächtnis ist wie ein Schwamm«, prahlte Friedrich Wieck. »Zweimal vom Blatt gespielt, und schon beherrscht sie ein Stück.«
    Immer Neues sollte Clara bieten, das Publikum jedes Mal erstaunen. Dabei schien sie immer ein wenig fremdartig, doch auch das trug noch zu ihrer Verklärung bei. »Ein Genie«, seufzte man anerkennend. »Ein Kind noch, aber schon ein Genie.«
    Ein einziges Mal zeigte Clara eine Schwäche. Das regnerische Wetter und die Rastlosigkeit bis tief in die Nacht hinein hatten ihr eine Halsentzündung eingetragen. Das Schlucken machteihr Beschwerden, und sie war heiser und müde. Trotzdem trat sie vor einer großen Gesellschaft auf. Abzusagen wäre undenkbar gewesen. »Danach kannst du dich ausruhen«, versprach ihr Vater. »Nur die paar Stunden noch! Das hält mein kleiner Russe doch durch.«
    Sein kleiner Russe: so nannte er sie immer, wenn er wollte, dass sie sich als besonders zäh und ausdauernd erwies. Dem kleinen Russen machte es nichts aus, stundenlang in einer ungefederten Kutsche über steinige Straßen zu rumpeln. Es machte ihm nichts aus, notfalls auf das Essen zu verzichten, obwohl der Magen knurrte und Sterne vor den müden Augen tanzten. Ebenso wurde er auch damit fertig, am Klavier eine Zugabe nach der anderen zu liefern, selbst wenn die Mandeln schmerzten und das Atmen schwerfiel.
    Auch diesmal hielt der kleine Russe durch. Clara musizierte, als hätte sie sich vorher stundenlang erholen können. Immer wieder verlangte man Zugaben. Als jemand bemerkte, wie blass sie war, reichte man ihr ein Glas Wasser mit einem tüchtigen Schuss Champagner. Gehorsam leerte sie es in einem Zug. Alle lachten und klatschten. Danach spielte sie weiter. Jemand erwähnte, dass Friedrich Wieck nicht nur ihr Vater und Impresario war, sondern auch ihr Lehrer. Ganz bestimmt, vermutete man, spielten die beiden doch auch manchmal gemeinsam. Vierhändig. Warum nicht auch hier und jetzt? – Beifälliges Klatschen, gegen das kein Widerspruch ankam.
    Friedrich Wieck verneigte sich und setzte sich neben seine Tochter. »›Variationen zu vier Händen‹ von Herz«, kündigte er an.
    Clara verzog keine Miene. Die Löckchen hinter ihren Wangen waren feucht von kaltem Schweiß, aber ihre Hände gehorchten so wie immer. Kein Fehler unterlief ihr. Nur einmal fröstelte sie, während ihr Vater an der Reihe war. Dann übernahm sie wieder ihren Part – eine kleine Maschine, die ihr Werk pflichtgemäß zu Ende bringt.
    Nach dem Schlussakkord klatschten die Gäste und riefen »Bravo!« und »Da Capo!«.
    Friedrich Wieck verbeugte sich geschmeichelt. Obwohl er sah, dass es Clara schlecht ging, war er zu einer Zugabe bereit.
    Doch da stand Clara auf. Sie war weiß im Gesicht, aber sie nahm sich zusammen, wie sie es gelernt hatte. »Da klatscht ihr nun«, sagte sie mit ihrer erschöpften, heiseren Stimme. »Ihr klatscht, und ich weiß doch, dass ich schlecht gespielt habe.« Dann fing sie an zu weinen.
    Friedrich Wieck erhob sich ebenfalls. Er suchte nach Worten. Ein paar Damen eilten aus dem Parkett herbei, um Clara zu trösten. Friedrich Wieck atmete auf, als Clara wieder Schmuckstücke zugesteckt bekam und man sie tröstend »abschmatzte« – wie er es am nächsten Tag in seinem Brief an Clementine formulierte. Da hatten ihn gerade ein paar Damen der Dresdner Gesellschaft aufgesucht und ihn ermahnt, seiner Tochter nicht die Kindheit zu rauben. Er antwortete ihnen, seine Tochter sei glücklich. Mit Puppen und Spielzeug habe sie noch nie etwas im Sinn gehabt. Dabei versuchte er sich in Galanterie, was die Damen immerhin ein wenig beruhigte. Als sie ihn wieder verlassen hatten, setzte er seinen Brief fort. Er werde sich doch nicht von ein paar Frauenzimmern belehren lassen, schrieb er an sein Frauenzimmer daheim, wohl wissend, dass wenigstens sie ihm nicht widersprechen würde.
    Am Tag darauf war der kleine Russe wieder gesund. Clara erfüllte ihre Pflichten, als wäre nichts geschehen. Dafür liebte man sie. Banale Erkältungen störten das Idealbild vom romantischen Wunderkind. Wenn sie schon einmal vorkamen, sollten sie sich wenigstens schnell wieder verflüchtigen. Und so war es pflichtgemäß ja auch geschehen. »Keine andere kann ihr das Wasser reichen«, hieß es deshalb wieder. »Clara Wieck – ein kleines sächsisches Wunder! Wir

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